Samstag, 13. Oktober 2012

Wirsing und Sauerbraten unter Nazi-Verdacht

Angeregt durch das vortreffliche Buch Preußen- Aufstieg und Niedergang 1600-1947 von Christopher Clark hab ich mir Gedanken gemacht.
In der Einleitung des Buchs geht der Autor -natürlich- auf den Umstand ein, dass vielen (Historikern) Preußen als das Staatsgebilde gilt, dass Nazi-Deutschland erst möglich gemacht hat.
Als ich meinem Mann zu Liebe heute früh den Wochenmarkt aufsuchte, weil er sich Wirsing, Bratkartoffeln und Bratwurst wünscht (Sire, ich eile.....übrigens auch ein Büchlein zum Thema : hier die Beziehung von Voltaire zu Fritz "Ich mach das, weil ich es kann"), da kam ich ins Nachdenken.
Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war ich jung und erstmalig politisch interessiert, auf eine bisweilen eher unkluge, gleichwohl leidenschaftliche und polarisierende Art. Es waren die 80er Jahre, und ja, da pubertierte es auch schon mal. In mir.
Äußerlich war lange nichts zu sehen, Darum setzte ich mit einer Kopfhaarrasur incl. Schnittverletzung ein Zeichen: hier ist ein junger Mensch im Umbau.
Ich stellte alles in Frage, und das war in den 80ern auch erste Bürgerpflicht. Meine Eltern waren katholisch und -wie ich erkannte- spießig. Spießig war damals anders als heute. Heute hören Spießer Tote Hosen und gehen mit ihren Kindern gemeinsam auf Feten. Damals konfiszierten meine Eltern die Tote Hosen-LP wegen Ficken, Bumsen, Blasen, alles auf dem Rasen und unsere Feten fanden ohne Eltern statt.
Meine Eltern waren so furchtbar wie alle Eltern:
sie ignorierten das Waldsterben und gingen weiterhin wandern,
sie benutzten Deo-Spraydosen (FCKW ! Diese Verbrecher ! Die von mir benutzen Farbspraydosen zum  Sprühen politischer Parolen gingen aber durch) ,
sie verboten mir Demos gegen den Nato-Doppelbeschluss (Ääätsch ! Wir taten ständig verbotene Dinge), sie waren sehr skeptisch gegenüber Gastarbeitern,
alle 68er waren RAF-Terroristen und die Grünen eine Gefahr,
nach Tschernobyl wurde meine Schultasche weiter von Atomkraft-Nein-Danke-Stickern gereinigt.
Und ins Ausland fuhren wir nie. Das wäre aber toll gewesen. Für den Liebreiz der Weingegenden an Rhein und Mosel hatte ich kein Auge - die (sicher auch heute noch hemmungslos übertriebene) Gastrogemütlichkeit alarmierte mich bis zur Stufe ROT. Das war lupenreine Deutschtümelei, und das war ....Sie ahnen es....lupenreines Nazi-Deutschland.
Meine Eltern und ihre Lebensart verkörperten für mich Deutschland. Deutschland und Nazis waren eine untrennbare Allianz. Also stand alles, ich betone: ALLES, unter Naziverdacht.
Ich verachtete herrliche deutsche Speisen wie Wirsing, dicke Bohnen, Sauerbraten, Rollbraten, Kartoffeln.
Rebellisch  zerkochte ich vegetarische Lasagnen (alle Zutaten aus der Dose) und trank dazu Lambrusco aus Flaschen mit Körbchen drum. Ich verschmähte die Bratwurst meiner Mutter und schob mir politisch korrekten Toast mit Scheiblettenkäse in den Ofen.
Spanferkel ? Nicht mit mir : Miracoli ging  gut.
Irgendwie hatte ich das Gefühl (und damals schätzte ich Gefühl ranghöher als Erkenntnis ein), dass die deutsche Hingabe an Eintopf und Schmorbraten irgendwie auch ein Wegbereiter des Nazitums gewesen war. Wie bitte ?
Ja, doch, irgendwie. Es gab eine Menge Irgendwie.
Ich wurde dann kulinarisch lockerer und politisch Wissender bzw. umgekehrt.
Heutzutage kann ich Grünkohl mit Mettwurst kochen und krieg trotzdem den Friedensnobelpreis.
Und ich setz noch eins drauf: demnächst probier ich sogar mal Saumagen.


Sonntag, 30. September 2012

He´s a motherless child (and happy)

Der Bub ist gestern ausgezogen. Pfffffft, einfach so. Wagen vollgeladen, Umarmung, Bussi, Vergnügen im Gesicht - ab durch die Mitte.
Mutti stand etwas ratlos im Haus. Heulen musste sie nicht - sie ist eine Selbstbeherrscherin.
Ging  in die vom Bub verlassene Etage, fand noch einen Pizzakarton unterm Bett, der steingewordene Pizzarand lag stückweise noch drin. Ach: Prosciutto mit doppelt Käse, mehrmals in der Woche. Wahrscheinlich wird Pizzeria Il Mondo des Buben Auszug noch schwerer verkraften als Mutti.Soll sie ihnen Bescheid geben, damit sie sich ein 2. Standbein schaffen?
So ist das. Pech für Il Mondo. Glück und Prosperität für den Pizzaservice Berlin-Wedding.
Modebewusst war der Bub schon immer. Säckeweise Provinzklamotten hat er zurück gelassen. Mutti sortierte aus: was ist für die Give Box gut, was kann Mutti noch auftragen, was muss nach Tanzania verschifft werden....zur Selbstberuhigung mal an einem T-Shirt schnuppern ? So gut war die Idee nicht.
Ach was, so weit kommts noch, dass Mutti des Buben ausrangierte Plünnen trägt. Rein in den Sack und zugemacht.
Und nun ?
Rumstehen und denken: Aha, so ist das also.
Weiter rumstehen und denken: So, jetzt fällt mir zum Denken nichts mehr ein.
Gegen 2 kam der Vati nach Hause, umarmte die Mutti und rief : Ab jetzt sind wir zu zweit, das wird schön !
Da rief die Mutti : Heeeeeeey !
Hätten Vati und Mutti nicht eine Einladung zum Brunch gehabt, wäre das vermutlich sonderbar weiter gegangen.
Beim Brunch flotter Austausch mit den Eltern des Buben, der mit Muttis und Vatis Buben von nun an in Wohngemeinschaft im Wedding leben wird. Etwas Sekt, danach Biere, Hax´n und Sauerkraut dazu....es ging durchaus gut los mit der Zweisamkeit, vor allem, mit ungefähr 100 anderen Partygästen.
2. Halbzeit Dortmund-Gladbach schon wieder auf der heimischen Couch.
Fehlten allein der Bub, zwei Freunde vom Bub, der Bruder von einem Freund und dessen Freundin. Ach ja - und Tore von Gladbach. Andererseits: länger ausgestreckt auf der Couch liegen bei der Bundesliga war nie. Aus orthopädischer Sicht hat der Bub zur rechten Zeit das Haus verlassen.
Die erste Nacht:
endlich schlafen bei weit geöffneter Zimmertür. Das mochte die Mutti immer schon, aber beide Buben fühlten sich davon belästigt. Jetzt aber !
Am Morgen: kein Gedrängel vor der Badtür. .Keine fremden jungen Männer, die in Boxershorts die Treppe herunter kommen und sich vorstellen: Ich bin der XY, wo kann ich duschen ?
Müffig und unansehnlich saß die Mutti stundenlang in der Küche herum und tirilierte vor sich hin: Ich zieh mich nicht an. Es ist alles egal. Ich kann machen, was ich will. Freiheit, die ich meine.
Dann kam die SMS vom erstgeborenen Buben: man käme dann gleich mal mit Kind und Kegel vorbei.
Jetzt aber flott, sputete sich die Mutti.
Schlafzimmertür: zu.
Couch: enthundehaaren.
Körper: reinigen.
Vati: mobilisieren.
Antidepressiva: heute mal aussetzen.




Freitag, 21. September 2012

Meine TOP 10 der härtesten Pornos aller Zeiten

Während Du das hier gerade liest, verfolge ich an meinem Blog-Dashboard, ob das mit dem Sex sells wirklich stimmt. Mir fällt auf, dass mancher  meiner Posts sehr oft aufgerufen wird, ein anderer eher weniger. Möglicherweise ziehen schmissige Titel wirklich besser als andere.
Ich fand meinen Blog Von religiösen Eiferern und genervten Atheisten eigentlich ganz gut, aber der Titel hat wohl nicht so gezogen.
Jetzt kann man ja nicht ständig irgendwas Sexuelles (scharfes Luder) oder Nazi-Romantik (der Führer) in eine Überschrift pressen, wenn es so gar nicht passt. Aber diesmal geht mein Manipulationstrieb mit mir durch: es geht in diesem Blog mitnichten um Pornos, und dieses Wort wird heute hier nicht noch einmal auftauchen. Ich guck schlicht mal, ob das für Euch ein Trigger ist.
Im Känguruh-Manifest empfiehlt das Känguruh seinem Autor, das nächste Buch Hitler Ficken Bombe zu nennen, dann würde es sich von selbst verkaufen.
Gut flutscht auch immer ein Promi-Name in der Überschrift. Westerwelle, Wulff, Grass waren gut besucht, sogar Norbert Röttgen und FDP elektrisieren.
Vielleicht geht mit Gauck mal was Schmutziges - wer weiß. Oder ich häng mich noch an Bettina Wulff mit dran. Am liebsten würde ich was zu Rösler bringen - aber was ?
Jetzt ist zu der Überschrift bereits alles gesagt.
Ich plaudere noch zusammenhanglos weiter.
Heute Abend geh ich in die Festhalle. Roger Cicero kann nicht kommen, er hat abgesagt, und ich bin sicher die einzige Kartenbesitzerin, die sich herzlich darüber freut. Wer da als Ersatz kommt, hab ich sofort wieder vergessen, nachdem ich es in der RP gelesen habe.
Aber es ist in jedem Fall besser für mich als Mr. "zu kleiner Hut" Cicero.
Ich bin morgen auf einer Hochzeit eingeladen und hab mir eben noch flott 2 Kleider gekauft. Welches auch immer ich trage - ich werde fantastisch aussehen. Wenn ich zumindest nicht feist wie ein Rollbraten aussehe, kann ich aber auch schon zufrieden sein.
Peppi hat eine volle Mülltüte zerrissen. Leon hat das weggemacht. Was mach ich nur, wenn der Junge Ende des Monats nach Berlin zieht ?
Und nun höre ich mit der zusammenhanglosen Plauderei auf.
Klick mich, Du Sau (Teil 1).

Samstag, 15. September 2012

Religiöser Bullshit und genervte Atheisten

Mein Gott, was hab ich das satt ! Es kann der Frömmste nicht in atheistischem Frieden leben, wenn die Religion es grad nicht will.
Was soll dieser anachronistische Kreuzzüge-Irrsinn in 2012 ?
Ich weiß nicht, welche Wichser dieses, wie wird es allenthalben genannt, Schmähvideo fabriziert haben. Aber mit ihnen fängt es ja an, das Deasaster.
Denn sie haben keine Satire geschaffen, die ja bekanntlich alles dürfen sollte (und wahrlich: der Gott in meiner Welt nimmt Schmähungen, Spott und Ablehnung achselzuckend hin, er lebt in Gelassenheit weit droben auf dem Satire-Gipfel). Bei Monty Python wäre Life of Mohammed lustig geworden, bei US-Fundi-Christens ist es peinlich, dümmlich ....und gefährlich.
Diesen Typen lief doch der christlich-fundamentalistische Geifer aus den Mundwinkeln. Es ist ja keine frohe Botschaft, keine Werbung für den eigenen Glauben, sondern wohlkalkulierte Herabwürdigung anderer Glaubensanhänger und ihrer Glaubensinhalte.
Da war die Lunte eingebaut.
(Gut : ich persönlich würde das locker verkraften, wenn jemand treffsicher das Schmähen, Verunglimpfen würde, dem ich mein Leben geweiht habe. In meinem Fall wäre das bspw. Peppi. Ich schüttelte den Kopf und ziehe die Schmäher der Beschränktheit , produzierten sie ein Video über Beagles, das diese edlen Geschöpfe als stinkende Fellbeutel, verfressene Zeckenfarmen oder Weltbescheißer diffamiert.
Sicher aber zöge ich nicht los, um alle Katzenliebhaber anzuschreien, ihre Häuser anzuzünden und sie in den Tod zu treiben).
Aber wir wissen alle: in der arabischen, islamischen Welt gibt es jede Menge Lunten, wahrhaftige und vermeintliche. In der westlichen, christlichen Welt bleiben diese Lunten nicht unbemerkt.
Zum Anzünden braucht man dann z.B. nur noch einen durchgeknallten sektiererischen Reverend aus Florida, der mal ein Koran-Barbecue in seinem Garten veranstalten mag, mal ein beschissenes Anti-Islam-Video in die Welt bomben. All das ist Terrorismus.
Zuverlässig rasten aufgepeitschte und/oder dumme Menschen in der islamischen Welt aus. Es wird empört geschrien, gedroht, zerstört, gemordet. All das ist Terrorismus.
Natürlich hat Clinton recht: es ist ein Video, dass die Muslime als beleidigend empfinden, sie fand Worte der Abscheu. Aber NICHTS rechtfertigt eine solche Gewalt.
Das Video wurde nicht von der US-Regierung in Auftrag gegeben, auch nicht von der BRD.
Ist es möglich, dass es Dumpf- und Doofheit ist, die Religionsgruppen gefährlich macht ? Leben Religionen von Dumpf- und Doofheit ?
Kann man jetzt mal vom Papst oder christlichen Kirchenvertretern oder einfach von Christen erwarten, dass sie sich deutlich und öffentlich entschieden von dem Video distanzieren ? Ich mein ja nur....das Gleiche hatte man doch seit 9/11 bei allen Gelegenheiten von allen (!) Muslimen erwartet. Aber helfen tut das auch nichts, das Gebrüll und Getöse und die Gewalt des Islam-affinen Mobs hört nichts (mehr).
Ihr christlichen, muslimischen, jüdischen oder  sonstwie von moderaten Gläubigen bis religiöse Eiferer: wo ist bei Euch eigentlich mal von Vernunft die Rede ?
Gibt es da Stellen in Bibel, Koran oder sagen wir mal im Buch Mormon, wo es explizit um Vernunft geht, Mäßigung des Eifers oder wo schlicht mal das Gebot formuliert wird:
DENK NACH !

Dachte ich mirs doch.

So rufe ich einstweilen:
ich bin eine Ungläubige ! Hiphiphurra !
Mögen weltliche Gerichte Eure Straftaten verurteilen, Eure göttlichen Gerichte funktionieren ja nicht.

Freitag, 7. September 2012

Samstags vor meinem Schlafzimmerfenster

Die kleine Stadt, in der ich lebe, hat  ein unüberhörbares Demografie-Problem. 89 % der Einwohner sind über 60. Von diesen 89 % wohnen 71 % in unmittelbarer Nachbarschaft zu mir. Alle 89 % sind noch so gut zu Fuß, dass sie sich gern und oft vor meinem Schlafzimmerfenster versammeln, um sich dort in enormer Lautstärke zu unterhalten. Die etwas hörgeschädigten Bewohner meiner kleinen Stadt sind gesellig. Und ich bin strapazierfähig.
Manchmal hänge ich der kühnen Idee aller Werktätigen nach, ich könne samstags ja mal länger schlafen. Das klappt immer gut, manchmal sogar bis kurz vor halb 8.
Dann erfahre ich durch die Lamellen meiner Jalousie, dass Marlies einen wohl auch nicht mehr kennt.
Ach, ruft Marlies, du bist dat, Gerda, nee, ich hab dich jar nit gesehen, du hast die Haare anders.
Ach wat, dat ist doch schon lange so.
Nee, beim letzten Mal hattest du die noch nit so.
Doch, die waren ABER so. Die Lilo macht ja die Haare nit mehr, ich hab jetzt die Nachbarin von meiner Schwiegertochter, da geh ich schon ganz lang hin für die Haare.
Die Lilo macht dat nit mehr ?
Ach, doch schon seitdem der Friedel nit mehr so kann, der ist ja janz schlimm dran.
Hat die den noch zu Haus ?
Nee, nit mehr, dat war ja kein Tun mehr. Der ist jetzt im Pflegeheim. Dat is viel besser so. Die wollt dat ja nit. Ich denk mal auch wegen dem Pflejegeld, aber dat jeht doch nit.
Aah, furchtbar. Kegelt die Lilo denn noch mit ?
Ach nee, die macht jar nix mehr. Jetzt hab ich den Kontakt auch nit mehr so, dat is irjendwie einjeschlafen, du weißt jo, wie dat is....
Ja, als Rentner kommste zu nix.
(Lachen).
Jo, Gerda, ich muss, ich wollt noch zum Markt.
Du auch ? Dann gehn mer zusammen, ich muss  noch Blumen für den Friedhof holen, dat wird ja alles abgefressen von den Mäusen.......

Gerda und Marlies sind noch nicht ganz weg, da stellen sich Karin und Alfred vor mein Fenster, um sich mit Werner zu unterhalten, der auf der anderen Straßenseite durch den kleinen Park auf sie zu kommt.
Immer wieder neue Rentner tauchen auf.
Sie bleiben fröhlich erzählend stehen, und immer....ich sage: immer ...stellt sich nach minutenlangem Hin-und-Her heraus: die wollen alle zum Markt.
ÜBERRASCHUNG !!!
Sie können diesen winzigen Sachverhalt aber nie sofort abklären und sich dann unverzüglich auf den Weg zum Markt machen, um sich in der Bewegung dorthin auszutauschen. Erst muss der Spannungsbogen vor meinem Fenster überdehnt werden. Und ich liege Luftlinie 2 Meter von ihnen entfernt im Wasserbett und verursache starken Seegang in der Matratze.

Spannender wird die Episode: Samstags nachts vor meinem Schlafzimmerfenster.
Ich verrate schon mal ein paar Schlüsselwörter, die darin vorkommen:
Warsteiner.
Wendler.
Joanna - du geile Sau.
Höllehöllehölle.
Jetzt kotz hier ma bloß nicht alles voll.
Wartmaichmussmaeben.
Frollein, dat machse au nich nomma mit mir.
Da wa nix mim Jürgn, bissu einglich beklopp or wat ?
Olé olé olé oléé.....






Donnerstag, 6. September 2012

Synapsenquatsch

Ich habe erst kürzlich erfahren, dass nicht alle Menschen zu Zahlen eine Farbe haben . Ich hab das.
Die 1 ist weiß.
2 ist sonnenblumengelb, ins orange gehend.
3 ist stahlblau.
4 ist flaschengrün.
5 ist silbergrau.
6 ist schwarz.
7 ist dunkelorange.
8 ist schwarz.
9 ist dunkelbraun.
10 ist weiß mit dünnem schwarzem Trauerrand.
Bei den Zahlen 11 bis 19 gibt immer der Einer die Farbe vor, aber die 20 ist gelb.
Die 0 gibts allein irgendwie gar nicht, und bei allen Zahlen über 20 blick ich selber nicht durch, ob das noch eine Konstante hat, ich glaube, die Farben wechseln - ich müsste das überprüfen, aber ich will nicht so viel Zeit damit zubringen. Also egal. Was bei Zahlen und Wörtern geht, das funktioniert ähnlich bei Gefühlen und Erinnerungen.
Als ich mal vor vielen Jahren zutiefst unglücklich war, da war das, was in mir schmerzte, ein orangeroter, heißer Tennisball, auch exakt in der Größe, aber etwas schwerer als ein normaler Tennisball - als wäre er nass geworden.
Der Tennisball saß mittig in mir, etwas unterhalb des Brustbeins. Ich musste ihn immer anschauen und weiteratmen, dann ging es irgendwann. Der Tennisball ist inzwischen lange weg, aber ich würde ihn jederzeit wieder erkennen.
Und so weiter. Ich hätte viele Beispiele. Mit Farben, Melodien, Sounds.
Seit ich hörte, dass es Menschen gibt, denen solche Verknüpfungen fremd sind, finde ich das interessant (wobei ich das immer noch nicht so recht glauben kann).  
Gern würde ich wissen: wie sieht denn Deine 1 aus ? Und wenn die gar nicht irgendwie aussieht, wie soll ich mir das denn bitte vorstellen ?
Bitte nicht wundern, wenn ich demnächst mal komische Fragen stelle: es geht hier nur um Erkenntnisgewinn.
Mein Sohn hat  gleich einen Fachbegriff aus dem Hut gezaubert, diese Verknüpfungen wären ein bekanntes Phänomen. Leider hab ich den Begriff wieder vergessen.
Phänomen jedenfalls ist blau. Seidenmatt.

Dienstag, 28. August 2012

Mitteilungen aus dem Kindersitz

Früher gab es in den Omma-Zeitschriften eine Rubrik: Fröhlicher Kindermund. Da schickte man eine drollige Kinderaussage ein und bekam 5,- Mark, wenn sie abgedruckt wurde. Wenn es sowas noch gäbe, dann bräuchten sich Maries Eltern finanziell keine Sorgen mehr machen. Marie (3) ist permanent drollig und sie hat viel Freude daran, sich ununterbrochen zu Wort zu melden. Wenn sie lustig ist, ist das sehr lustig. Wenn sie sauer ist : auch.
Meine Schwester ist eine humorvolle Oma. Ich war mit ihr und Marie ein paar Tage im Urlaub, es war sehr unterhaltsam.
Die Hinfahrt dauerte 2 Stunden, zu lang für Marie. "Mir geht es niss gut !", vermeldete Marie alle paar Minuten aus ihrem Kindersitz auf der Rückbank. Wenn man Tuc-Kekse nach hinten reichte, Maoam oder Getränkeflaschen, dann ging es wieder für ein paar Minuten.

 "Dir geht es auch niss gut, Tine !", bestimmte Marie. "Du musst zu Dr. Marging ." Ich verstand: Marie war Dr. Marging, der aus dem kleinen Kindersitz hinter mir praktizierte. Die Behandlung ging sofort los:
"Guten Tag. Iss bin Dr. Marging. Was haben Sie denn ?"
"Ich habe Bauchweh."
"Ach so. Und was haben Sie jetzt ?"
"Immer noch Bauchweh."
"Gar niss wahr."
"Aber wohl...!"
Dr. Marging wurde sehr ungehalten: "JETZT ISS KOPFWEH !"
 "Also bitte....ich weiß doch selber, was mir weh tut, das wissen Sie doch nicht ! Sie müssen mich behandeln!"
"Das iss gar niss wahr. Du bist gar niss risstiss krank, Du sitzt da vorne im Auto."
"Jaaa, und Du bist gar nicht richtig  Dr. Marging, weil Du sitzt da hinter mir im Kindersitz."
"Du biss niss mehr mein Freund. Ne, Omma ? Die Tine iss niss mein Freund, nur Du biss mein Freund."
Marie sortiert ihre Freundschaften alle paar Minuten neu.

Sie spielt auch sehr gern Verkäuferin. Das Spiel kündigt sich immer mit einer Melodie wie von einem Spielautomat an:
Düdüdüdü
Düdüdüdü...
Oma: "Oh nein, nicht schon wieder....."
Marie: "Doch, Omma:
Düdüdüdü
Düdüdüdü
Guten Tag ! Was hätten Sie gern ?"
Oma: "Ich hätte gern Nudeln."
Marie: "Nudeln hab iss niss."
Oma: "Dann bitte eine Brot."
Marie: "Brot hab iss auch niss."
Tine: "Marie, die DDR gibts nicht mehr."
Marie: "Gar niss wahr."
Oma: "Dann hätte ich gern Eier."
Marie: "Eier hab iss auch niss."
Oma: "Was haben sie denn ?"
Marie: "Iss hab nur Geld und eine Hupe."

An einem Abend hab ich Marie das Märchen vom Rotkäppchen erzählt, so frei aus dem Kopf. Ich machte mir etwas Sorgen, ob Marie vielleicht Angst vor dem bösen Wolf bekommen könnte, denn Oma und Opa waren gerade bei den Nachbarn und es gewitterte heftig: alles zusammen viel für eine kleine Kinderseele.
Aber Marie kam gar nicht zum Angst entwickeln, sie hatte viele Detailfragen.
Wir waren schon mit Kuchen und Wein unterwegs zur Großmutter, da kommt Marie ein Gedanke:
"Wie heisst denn das Rotkäppsen risstiss ?"
"Na, Rotkäppchen halt."
"Nein, wie das vorher hieß...der Name von das Rotkäppsen."
"Wie : vorher ?"
"Tine, fang nochma an ssu erssählen...."
An der Stelle: ....und von da an nannte es jedermann nur Rotkäppchen.... : "Da ! Und wie iss der risstisse Name ?"
Ich musste passen, das war sehr unbefriedigend für Marie.
Später, als der Wolf sich Nachthemd und Häubchen von der Großmutter angezogen hatte, gefiel das Marie auch nicht.
"Nein, was hat der wirkliss an ?"
"Die Sachen von der Großmutter."
"Gar niss wahr. Der hat ein blaues T-Shirt an."
Irgendwie funktionierte der Plot mit dem blauen T-Shirt dann nicht  so gut, zumal der Wolf nicht mit T-Shirt an in den Brunnen geworfen werden durfte, das musste der Jäger ihm vorher noch ausziehen, weil das doch nass wird ("Das darf man niss, Tine !"). Der Thrill der Geschichte blieb etwas auf der Strecke, was aber der guten Stimmung nicht schadete, denn wir sangen aus Freude über die Rettung einmal langsam "Jingle Bells" und zweimal schnell und noch einmal ganz schnell "Der Kuckuck und der Esel".

Auf der Rückfahrt hatten die Oma und Marie einen kleinen Streit.
"Du biss doof!" sagte Marie.
"Du bist auch doof!" sagte die Oma.
"Du biss niss mein Freund, Oma. Nur du biss mein Freund, Tine, das stimmt doch, oder ?"
5 Minuten später möchte Marie an einem Parkplatz mit aussteigen.
Die Oma fragt: "Kannst Du denn wieder freundlich sein ?"
Marie: "Ja....aber niss ssu Dir."

Montag, 20. August 2012

Alles unter einem Dach

Als ich damals ein Grundschulkind war, hatten wir auch schon einen Fernseher. Ich liebte den Grundig-Kasten und vermisste auch die Fernbedienung nicht, denn die hatte noch niemand. Ganz besonders toll fand ich die Reklame (wir sagten nicht Werbung). Ich wartete immer voller Sehnsucht auf den Teddy der Bärenmarke-Kondensmilch. Wie niedlich der da so auf der Wiese zwei, drei Schritte machte neben der Milchkanne ! Und dann wars auch wieder vorbei, ach, ich hätte stundenlang zugucken mögen.
Meine Schwester und ich sprachen die Reklamen mit: Wenn einem soviel Gutes wird beschert, dann ist das einen As bach-Uralt wert.
Oder: ....Sie baden grade Ihre Hände drin.
Oder: ...ich gehe meilenweit für Camel Filter.
Ich mochte den Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer, die Frau Sommer mit dem Kaffee, die Klementine, das Gewissen (Warum trinkt er seinen Kaffee nicht ?) und sogar das HB-Männchen, ja, das war sogar richtig zum Ausschütten vor Lachen.
Aber besonders super war die Kaufhof-Reklame, denn soeben hatte in Neuss der Kaufhof eröffnet. Frauenstimmen sangen: Der Kaufhof bietet tausendfach, alles unter einem Dach.
Das war eine irrwitzig glitzernde Konsumwelt, ich freute mich sehr aufs Gymnasium, denn der Schulweg ging geradewegs DURCH den Kaufhof !!! Davon träume ich tatsächlich heute noch. Nach der Schule erstmal durch die Spielzeugabteilung, das hatte was.
Sylvia Blaszynski und ich hielten uns in der großen Pause immer abseits von den anderen (oder die von uns), und wir spielten die Reklamen nach. "Ich mach Kaufhof !" war die heißeste Währung: wer das gerufen hatte, durfte minutenlang singend darstellen, was der Kaufhof tausendfach unter einem Dach bietet.
Meine Mutter berichtete, dass in Amerika sogar Filme unterbrochen würden für Reklame. WIE BITTE ???Mein Vater sagte: Amerikanischer Scheiß ! Ich dachte: Ich möchte nach Amerika.
Heute möchte ich immer noch immerzu nach Amerika, aber ich verstehe, was mein Vater meinte. Wenn meine Liebe zur Reklame geblieben wäre, dann wäre mein Leben heute viel schöner. Aber wir haben uns auseinander gelebt und nichts mehr zu sagen, die Reklame und ich. Sie heißt ja jetzt Werbung oder Commercial. Ach , Schulkameraden heißen heute ja auch nicht mehr Jürgen oder Walburga. Und der Kaufhof ? Galeria.
Frau Sommer sitzt dementiell verändert im Seniorenstift, sie heißt in der Werbung fortan George Clooney und sieht auch so aus.
Trinkt noch jemand Asbach Uralt ?
Hat überhaupt noch irgendeine Latte-Macchiato-Ehefrau ein Gewissen, wenn dem Alten die Plörre nicht schmeckt ?
Viele Jahre später, als ich selber schon Kinder hatte, guckten mein Erstgeborener und ich wieder .... naja, Werbung. Aber es war nicht mehr das Gleiche, es hatte schon diese ironische Brechung, die leicht, allzu leicht ins Zynische abgleitet. Wir sangen immer laut mit bei Zott Sahnejoghurt:

VOLL GEPACKT MIT TOLLEN SACHEN
DIE DAS LEBEN SCHÖNER MACHEN
HINEIN INS WEEKENDFEELING
MIT ZOTT SAHNEJOGHURT
SAHNIG FRUCHTIG FRISCH UND LEICHT
HINEIN INS WEEKENDFEELING
HMMMMM
LASS DICH MAL GEHN
SCHALT EINFACH AB
GENIESS DEN SAHNIGEN GESCHMACK
MIT ZOTT INS WEEKENDFEELING.

Wir machten uns lustig. Das hätte ich beim Bärenmarketeddy nie getan. Den konnte ich lieben.

Dienstag, 12. Juni 2012

Trulli Grummelkopf findet ein Zuhause (Folge 2)

Jetzt war Trulli Grummelkopf da: warm, weich und nach Leben riechend.
Und jetzt musste sie auch irgendwo hin. Man konnte doch nicht einfach nur kommen und schauen und feststellen, dass sie einen mit unbeschreiblichen Gefühlen befüllte, und dann einfach nach Hause gehen.
Trulli Grummelkopf machte sehr den Eindruck, dass sie umsorgt werden wollte. Mehr noch: es schien dringend geboten, sie zu umsorgen. Denn wenn ich ehrlich bin: außer kleine Geräusche machen und überaus niedlich sein und Glück verströmen tat sie ...nichts. Ich hatte sogar den Verdacht, dass sie gar nichts tun konnte. Und sehr sehr sehr wenig wusste.
Zum Beispiel nicht, wie man das Leben meistert. Wie man sich bewegt. Spricht. Einkaufen geht. Den Haushalt führt. Geld verdient. Nichts in ihren ersten Stunden deutete auch nur ansatzweise darauf hin, dass sie sich selbst wenigstens rudimentär versorgen würde.
Bevor ich mir Sorgen machen musste, sprangen Neeltje und Firby in die Bresche. Sie waren gerade in die kleine Stadt gezogen, weil sie vermutet hatten : hier geht in naher Zukunft richtig was ab.
Sie nahmen Trulli Grummelkopf mit, steckten sie in eine gepolsterte Plastikschale auf dem Rücksitz ihres Autos und fuhren nach Hause. Es waren allerlei glückliche Umstände, die es ihnen ohne Weiteres möglich machten, Trulli Grummelkopf vorübergehend aufzunehmen: sie hatten ein großes Zimmer übrig. Neeltje hatte Zeit und Freude genug für sich und Trulli Grummelkopf. Firby fühlte sich wie der König der Welt: ein Zuhause mit Neeltje und Trulli Grummelkopf ! Er wollte noch wissen, was er unter "vorübergehend aufnehmen" denn genau zu verstehen habe. Mir fiel auf die Schnelle nichts ein, ich sagte: 18, vielleicht 20 Jahre. (Ich hätte genausogut Tage oder Minuten sagen können, denn ich hatte schlicht keine Ahnung,die Jahre waren ohne viel Nachdenken aus meinem Mund geflutscht, weil ich ja irgendwas antworten musste.)
Firby lächelte Neeltje an, Neeltje lächelte Firby an, sie schickten mehrere Lächeln zu Trudi Grummelkopf, und Firby sagte: So sei es.
Neeltje konnte tagelang nichts anderes tun als Trulli Grummelkopf anschauen und sagen: Ist die lieb !
Selbst wenn Trulli Grummelkopf ihren Grummelkopf machte und die Stirn in Grummelfalten zog und grummelte: Ist die lieb. Nachts fiel ihr das nicht immer spontan ein, aber dann stupste Firby sie etwas energischer an, und dann ging es: Ist die lieb ! 
Trulli Grummelkopf bekam ein eigenes Zimmer mit unerhört vielen Betten drin, schließlich wusste man  nicht, welche Schlafstatt sie gern hätte. Sie sagte ja nichts.
Neeltje und Firby nahmen Trulli Grummelkopf kurzerhand mit in ihr Erwachsenenschlafzimmer, denn sie hatten sich bereits ganz schlimm verliebt in das Wesen, dass sie Bebi nannten.
Wie durch ein Wunder vetrugen sich die Drei bestens, da wurde ganz schön liebgehabt, und Firby und Neeltje machten immer alles richtig, so, als hätten sie nie etwas anderes getan als für Trulli Grummelkopf sorgen.  Sie benahmen sich wie....wie soll man das ausdrücken..... Eltern !
Und Trulli Grummelkopf gefiel das alles so sehr, dass sie schon nach wenigen Wochen ein ganz besonderes Belohnungssystem für ihre neu gewonnenen Eltern erfand: das unglaubliche Trulli-Grummelkopf-Lächeln. Für dieses Lächeln taten Firby und Neeltje alles. Alles ! ALLES !
Was alles, das gibt es in Folge 3 zu lesen.

Freitag, 8. Juni 2012

Die orange Welt zu Gast in Oostkapelle

Gestern in Middelburg saß mein Allerliebster noch gemütlich auf dem Marktplatz bei Cappuccino und Tosti, da flitzte ich schnell los, um ein paar Sachen zu kaufen (Hallo Trudi ! Ich hab was todschickes für Dich geshoppt !). Unter anderem wollte ich etwas EM-Schnickschnack besorgen, schließlich werden wir hier ab Samstag kommender Woche  EM-Urlaub mit Freunden machen.
Ich dachte an eine Wimpelkette aller teilnehmenden Länder, an Holland- und Deutschlandflaggen, sowas halt.
Geschissen.
Ich war in allen Läden, doch es gibt für Holland wohl nur ein teilnehmendes Team. Man kann orange Perücken kaufen (Kunsstofflocken oder lieber oranges Lametta ?), es gibt orange Wimpel, orange Fahnen,
riesige aufblasbare orange Hammer und Keulen, Ascher, Tischdecken, Bierhelme, Sonnenschirme, orange Frau-Antje-Häubchen, Sombreros, Cowboyhüte, Riesenbasecaps, oranges Einweggeschirr und sogar orangen Kunstrasen-Bodenbelag und Pavillons, von orangen Lichterketten und Lampions mal gar nicht zu reden.
NICHTS anderes. Ja was ist das denn ? Tags zuvor sah ich in Viersen draußen bei Hüssein-Schnäppchenmarkt einen Ständer mit EM-Gedöns, und da war alles dabei. Sogar die Türkei und Brasilien, aber Hüssein darf sich ja auch mal vertun in seiner Völkerverständigung. Ich dachte: Ach Quatsch, das kauf ich morgen schnell in Holland, wir müssen da eh noch was besorgen.
Was denken sich die Holländer ? Hüssein, am Montag komm ich reumütig zu Dir zurück und kauf Dir alles ab, was "echt Kotton" ist.
Ich hab dann bei Blokker eine orange Wimpelkette für 0,39 € mitgenommen, die flattert schon mal draußen am Vorzelt.
Aber am kommenden Samstag, wenn unser EM-Urlaub beginnt, dann häng ich hier alles auf, was Hüssein im Programm hat, von mir aus auch den Halbmond.
Ich bin schwer enttäuscht. Zuerst dachte ich, die wollen hier eine lustige orange Revolution anzetteln, aber wahrscheinlicher ist, dass Geert Wilders persönlich das nationale EM-Schnickschnack-Sortiment zur Chefsache gemacht hat.
Nächste Woche kommen wir häßlichen Deutschen und zeigen Euch mal, wie EM-Deko geht.
Lasst die Spiele beginnen.

Sonntag, 3. Juni 2012

Trulli Grummelkopf betritt die Welt

Als Trulli Grummelkopf damals auf die Welt kam, war es Frühling geworden in der kleinen Stadt. Überall auf den Feldern und Wiesen und in den Wäldern rings um die kleine Stadt wurde geboren, ausgebrütet, gesäugt, gefüttert und geschützt, die Luft flirrte von so viel Anfang und Hoffnung.
Ein guter Zeitpunkt für Trulli Grummelkopf, sich unter die Zahl der absolute beginners zu mischen, denn alle Menschen waren völlig aus dem Häuschen : Jaa, Frühling ! Endlich ! Da will man neues Leben begrüßen und neues Leben im eigenen ältlichen verspüren, da wird jedes Vogelzwitschern bejubelt und beim Anblick von Krokussen, die gestern noch nicht da waren, flippt man aus.
Jetzt kann man sich vorstellen, wie komplett irre vor Glück große Menschen werden, die schon beim Anblick von Krokussen ausflippen und beseelt Meisenkästen aufhängen und den geliebten Hund im Feld anleinen, damit der bloß keines der 3.743.000.000 neugeborenen Kaninchen erschreckt, also wie komplett irre die sich aufführen, wenn plötzlich Trulli Grummelkopf auf der Bildfläche erscheint.
Es wurde viel geweint damals.
Wenn etwas lustig ist, dann lacht man. Aber wenn etwas noch noch noch schöner und glücklicher ist als alles, was man sich gewünscht hat, dann ist Weinen besser geeignet. Es ist nicht ganz so laut wie dieses Gelächter, zumal, wenn gleich ganz viele auf einmal meinen, glücklich sein zu müssen.
Man schnieft und gluckst und wischt sich die Tränenströme aus dem Gesicht, damit man wenigstens etwas von dem sieht, was man so freudig beweint, manchmal muss man auch Rotze wegwischen, aber das stört an so einem Tag niemanden, da ist auch der Ärmel zum Rotzewegwischen kein Problem.
Und was man da sehen konnte von Trulli Grummelkopf, das sah so lieb aus, dass man gleich schon wieder von vorn anfing mit Tränen vergießen, Glucksen, Schniefen, Rotze am Ärmel. Das volle Programm.
Wie Trulli Grummelkopf aussah ?
Fangen wir ganz oben an.
Trulli Grummelkopf war gerade erst ein paar Stunden alt, aber sie hatte schon Haare.
Haare, könnte man denken, wie sensationell....hatte sie halt Haare !
Nein nein, es waren ja nicht nur Haare. Als wenn ich hier so ein Gewese machen würde um Haare.
Trulli Grummelkopf hatte eine Frisur ! Modell Glückshelm !
Ich zum Beispiel hatte zu meinem Leidwesen nie eine Frisur, bei mir ist es bis heute nur beim Haarehaben geblieben. Einmal, zu Beginn der 90er Jahre, habe ich das Glück einer Frisur erzwingen wollen, und ließ mir eine Dauerwelle machen. Die Dauerwelle ist heute ausgestorben, wie der Kassettenrekorder, das Telegramm oder demnächst bald der Filterkaffee.
Jedenfalls war die Dauerwelle dann, gelinde formuliert, nicht die Erfüllung, das langsame Herauswachsen der Wellen verminderte mein neugewonnenes, permanent gedrehtes Leid, bis es zu einer Art Erleichterung wurde, als ich wieder nur Haare hatte.
Trulli Grummelkopfs Frisur war ein recht dichter und, naja, schon noch etwas schmonzig verklebter kleiner Glückshelm, von dem man ahnte, dass er weich, flaumig und wohlriechend sein würde, wenn dieses Klebezeugs erstmal weggepflegt wäre.
Unter dem Glückshelmchen konnte man rechts und links Ohren finden, die ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Das war der Ästhetik sowas von zuträglich, das glaubt man kaum, wie hübsch Symmetrie sein kann. Aus dem gleichen Stoff wie der Glückshelm waren auf der Stirn zwei entzückende Augenbrauen gearbeitet, da klebte nichts, die waren jetzt schon vollkommen.
Trulli Grummelkopf musste auch damals schon Augen gehabt haben, die waren gleich unter den Augenbrauen, aber die hatten noch nicht geöffnet. Man stand da wie vor der verschlossenen Ladentür, etwas ratlos, kein Hinweisschild, wann denn nun geöffnet würde, nur zwei heruntergelassene Rolltörchen, da konnte man rappeln wie man wollte, die blieben zu.
Weit geöffnet wie Scheunentore aus Lilliput dagegen Trulli Grummelkopfs Nasenlöcher, die auf wunderbare Weise am unteren Ende der Nase angebracht waren, eine wirklich allerliebste Idee, es sah sehr niedlich aus. Die Nase selbst hatte noch so ein paar Startschwierigkeiten.
Man weiß nichts über den Weg, den Trulli Grummelkopf auf ihrer Reise in die Welt zurückgelegt hatte, es lässt sich vermuten, dass es zuweilen eng wurde und sie allerlei Kämpfen ausgeliefert war, jedenfalls hatte sie ganz schön was abbekommen. Mir fiel die Ähnlichkeit mit Rocky Balboa auf, aber nur an der Nase. Der Rest stimmte nicht, also verfolgte ich diese Spur nicht weiter.
Unter der Nase mit den lustigen (noch nicht befüllten) Nasenlöchern : ein mittig platzierter, hüsch geformter Mund. Meist lagen die Lippen fest aufeinander, wie das Gleich-Zeichen auf meiner Tastatur : Trulli Grummelkopf wollte uns also Ergebnisse liefern. Nichts weniger.
Wenn das zu anstrengend wurde, formte sie ein erwartungsvolles O. Mit den darüber liegenden Nasenlöchern ergab das ein Ö, wie ich es herzerwärmender noch nie gesehen habe.
Im Ö drin : die Zunge, so rosa wie das allererste Rosa. Innen glich das Ö also einer rosanen Höhle, die so rein und sauber aussah, dass man sehr gern ein winziges Spucketröpfchen sein wollte, um darin wohnen zu können.
So viel Rosa muss man erstmal verkraften. Als Korrektiv dazu gab es das ausgeprägte Kinn. Na gut: Kinnchen, aber ausgeprägt. Und weil Trulli Grummelkopf sich nicht damit begnügte, halbe Sachen zu machen, war in das Kinn auch noch ein Grübchen eingearbeitet. John Travolta, klare Sache. Aber nicht bei Pulp Fiction. Wie verroht muss man sein, um an Pulp Fiction zu denken, wenn man Trulli Grummelkopfs Grübchen im Kinn betrachtet ? Es könnte auch an das Kinngrübchen meines Erstgeborenen erinnern, was möglicherweise nicht ganz so weit hergeholt erscheint wie John Travolta.
Das Körperchen war eingepackt in grasgrünes Frottee. Eine Frotteehülle, die nicht ganz bewohnt schien. Da war noch Platz frei für andere Bewohner. Oder für Wachstum. Das war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht raus, wie das mit der Frotteehülle weitergehen würde.
Aus dem Körperchen kamen rechts und links zwei überraschend lebendig zappelnde Ärmchen heraus, an deren Enden sich jeweils ein Händchen befand. Heute weiß ich mehr, aber damals waren sie zu kleinen Kugeln geformt. Hin und wieder schnappte so ein Kügelchen auf, und sofort begann ich in Gedanken zu murmeln: Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen....
Ich kam nie bis zum Klitzekleinen, der sie alle auffrisst, denn so unvermittelt Trulli Grummelkopf Einblicke in ihre Fäustchen gewährte, so unvermittelt ballte sie diese wieder zu kleinen Kugeln, die sich aber immerhin gut eigneten, feste Küsschen darauf zu drücken.
Dass Trulli Grummelkopf auch Beine, Füße mit Zehen, einen kleinen Po, einen Bauch mit Mininabel und den kleinen Rücken eines Löwenbabys hatte (ohne Fell), das würde ich später noch bewundern.
Fürs Erste reichte völlig aus, was Trulli Grummelkopf von sich zeigte.
Sie war angekommen. Sie war da. Lebendig. Sie atmete und gab winzige Geräusche von sich, einmal war sogar ein Pups dabei.
Ohne Zweifel. Das Abenteuer konnte beginnen.

Sonntag, 27. Mai 2012

Jack Nicholson und Morgan Freeman auf unserer Rückbank

Die gestrige Fahrt nach Oostkapelle ging so schnell vorbei wie nie zuvor. Offenbar hatten sich alle Pfingstausflügler schon Freitag auf die Socken gemacht. Zudem hatten der beste Ehemann von allen und ich ein interessantes Plauderthema. Es fing an mit der banalen Erkenntnis, dass Geld, ich meine hier viiiiiiiel Geld, nicht vor Einschlägen im Leben schützt, aber sicher immer angenehmer ist als die Abwesenheit von Geld. Es macht das Glück noch eine Spur angenehmer, so vermuten wir, und das Unglück ist mit Armut noch fieser.
Rasch konstruierte ich eine faustische Fragestellung: wenn der Teufel (ganz klar in Gestalt von Jack Nicholson) mir einen Deal anböte : zig Millionen sofort bis an mein Lebensende, dafür aber kriegt er 10 Jahre meines Lebens - wie würde ich entscheiden ?
Ich neigte schnell dazu, den Deal gar nicht so schlecht zu finden. Immerhin: wer weiß denn, wie lang er zu leben hat ? Auch ohne Jack Nicholson weiß ich nicht: ist es morgen vorbei oder mit 96 ? Die Ungewissheit ist eh Teil des Lebens, da ist Gott (hier natürlich: Morgan Freeman) auch nicht soooo lieb, wie er laut Stellenbeschreibung zu sein hätte.
Mein Mann, an sich Kapitalist und gottloser Gambler, zuckte zusammen.
Dies sei ihm aber zu unklar, sagte er, er würde da gern vorher das Kleingedruckte lesen.
Jack legt Dir doch keinen Vertrag mit Kleingedrucktem vor, erwiderte ich, wach auf ! Wir reden vom Teufel: Deal per Handschlag oder gar nicht.
Aber ZEHN Jahre ? Das sei zu viel, gab er zu bedenken.
10 Jahre ist das Angebot, beharrte ich auf den Spielbedingungen, die mir so ins Gehirn geschossen waren, aber ich war nicht bereit, Änderungen vorzunehmen. Warum sollte der Teufel nichts diabolisches verlangen - es ist doch sein Job.
Okay, sagte mein aktienbesitzender Mann, dann würde ich lieber nicht mitmachen.
Ich erklärte: Guck mal, angenommen ich würde sowieso 97, was nur Jack und Morgan wissen. Dann würde ich jetzt die zig Millionen nehmen , mit 87 vom Teufel geholt werden und hätte mir gleichsam mühsame 10 Jahre des Dahindämmerns im Altenheim Maria Hilf erspart.
HALT !, ging mein Mann dazwischen, da hast Du aber die Rechnung ohne Jack gemacht: wenn es nichts Kleingedrucktes gibt, woher willst Du denn wissen, dass Du mit den LETZTEN 10 Jahren bezahlen musst ? Teuflisch wäre es, wenn er dir klammheimlich 10 Jahre mittendrin klaut, und du hängst am Ende trotzdem 10 Jahre dement im Altenheim rum.
Das kann er nicht ! Wie soll das denn gehen ????, rief ich.
Das böse Lächeln meines Mannes jagte mir Schauer über den Rücken: Schatzi, es ist der Teufel ! Und da geht es mit dem Teufel zu. Sonst könnte man ja gleich langweilige Spiele mit dem noch langweiligeren Gott spielen.
Ach!, rief ich enttäuscht, das ist gemein. Der Teufel ist total gemein.
Hmmm!, sekundierte mein Mann.
Ich war sauer. Morgan Freeman kann mir gestohlen bleiben, der verspricht zwar auch Sachen, aber die sind langweilig langweilig langweilig, auch wenn sie so sicher sind wie ein Bausparvertrag. Was soll ich im Himmel ? Ich will die Kohle.
Den Pakt mit dem Teufel kannst Du nie gewinnen!, dozierte mein Mann, den ich bis tags zuvor als Oligarchen der Firma List & Tücke kannte. Nun war er über Nacht ein besserer Mensch als ich geworden. Bruder Maximilian, Moraltheologe.
Mein Herz war schon vergiftet, der Teufel saß längst auf der Rückbank und reichte mir ein Erfrischungstuch.
Wohl wissend, dass mein Mann den Faust nie gelesen hatte, log ich ohne Zögern: Wieso das denn nicht ? Kennst Du etwa den Faust nicht ? Der hat den Pakt mit dem Teufel geschlossen und ganz klar gewonnen. Nicht nach Punkten sondern K.O. 
Ich hatte Morgan Freeman nicht wahrgenommen, der hinter Bruder Maximilian saß. Er griff mit seiner gütigen schwarzen Hand nach vorne ans Radio und drehte den Sender raus, so dass lautes Rauschen und Kratzen meine üble Rede unhörbar machte.
Ich schämte mich. Es war noch kein einziger Cent geflossen, und schon warf ich jeden Anstand aus dem Fenster.
Naja, beendete ich das böse Spiel, es war ja nur so eine Idee. Gibt es ja eh nicht, diesen Deal.
Wir sind da!, rief mein Mann und bog bei Minicamping de Buck in die Hofeinfahrt.
Als wir das Auto leer räumten, waren Morgan Freeman und Jack Nicholson weg. Hazel und Peppi lagen da, und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Peppis Augen diabolisch glitzerten und Hazel dumm und zu lieb für die Welt ihren sanften Blick auf mir ruhen ließ.
Seitdem ist die Ordnung wieder hergestellt. Wir dösen in der Sonne und Pfingsten ist harmlos.
Aber etwas nagt in mir:
vielleicht.....vielleicht würde ich doch einschlagen.



Freitag, 25. Mai 2012

THE KIDS ARE ALRIGHT

Mein Leben ändert sich gerade, und zwar so, dass ich es deutlich und in Jetzt-Zeit bemerke. Sonst krieg ich Veränderungen, mein eigenes Leben betreffend, oft erst in der Rückschau mit.
Das Augenscheinlichste: ich bin Oma geworden, und der jüngste Sohn hat soeben Abi gemacht und steht kurz vor seinem Umzug nach Berlin.
 Der beste Ehemann von allen und ich werden in Kürze zum ersten Mal seit Beginn unserer Verbundenheit nur zu Zweien sein. Da der jüngste Sohn sich nicht ausschließlich mit Handarbeiten im Schein der Petroleumlampe in der Wohnstube beschäftigt (ich habe gerade Wuthering Heights gelesen, da wirkt etwas nach), konnten der Mann und ich das schon üben.
Soll ich mal ehrlich sein ?
Es fühlt sich wunderbar an.
Wenn er vor Monaten sagte: Ach, ich freu mich darauf !, dann sagte ich: Ich auch. Aber vorstellen konnte ich mir das nicht.
Mies ist an all dem nur, dass es mit dem Älterwerden zu tun hat. Ich schätze das Älterwerden nicht. Ich bin angenervt von meiner Falten werfenden, sinnlos herumhängenden Haut, von rheumatischen Schüben, grauen Haaren, zunehmender Alkoholablehnung (weil mir ein lustiger Abend inzwischen einen ungeheuren Energieverlust einbringt, der mitunter 2 Tage anhält), überhaupt schwindender Leistungsfähigkeit. Ich vermisse Jungsein.
Den Mann an meiner Seite halten solche Dinge nicht auf: er freut sich des Lebens und auf die Zukunft mit mir.
DAS IST WUNDERBAR !
Gestern hatte meine Mutter Geburtstag. Mit wenig Enthusiasmus planten meine Schwester und ich die Feierlichkeit: wir sagten der Familie Bescheid, dass wir uns um 6 im Cafe Mocca (das liegt günstig in unmittelbarer Nähe des Altenheims) treffen und dort in der Abendsonne zusammen essen. Niemand in unserer Familie schätzt Familienfeiern sonderlich, es gab immer viel zu viel Zwist und enorme Zumutungen, meine Mutter war sicher diejenige, die sich wohl immer dann am meisten spürte, wenn Unterstellungen, Beleidigungen, Verletzungen und Mißgunst nur so hin und her flogen.
Einzelnen Familienmitgliedern bin ich sehr zugetan, aber die monströse Ballung aller, die hat mich von je her abgeschreckt. Ich gehörte nie zum inneren Kreis, selbst wenn ich mich dafür entleibt hätte. Ich hatte eine klar definierte Funktion, mehr nicht.
Um so gruseliger der  Gedanke an Familienfeiern wie die gestern.
Aber:
es war gar nicht schlimm.
Ich habe darüber nachgedacht, woran das gelegen haben könnte, denn selbstverständlich ist das nicht.
Es ist das passiert, was man Leben nennt.
Die Familie hat sich personell verändert. Auf den Plätzen der Verstorbenen und Verschwundenen saßen nun die, die der Liebe wegen in den Kreis geraten sind. Und aus diesen neuen Verbindungen sind neue kleine Menschen geworden, die den gestrigen Abend so heiter gemacht haben. Trudi (0), Finn (2) und Marie (3) ist es mühelos gelungen, den Stunden Unbeschwertheit und Frohsinn zu geben. Wie unschuldig und unwissend die Drei für Lacher sorgten, für anrührende Augenblicke und Spannung ! Die herzallerliebste winzige Trudi, der sanftmütige und gelassene Finn, die unerschrockene und quirlige Marie sind die neue Generation. Ich denke, wir Alten und Älterwerdenden können getrost zurücktreten und den Stab weiterreichen - sie machen es jetzt schon besser als ihre Eltern, Großeltern und die Urgroßmutter.
Einmal hat mein Mann, der am anderen Ende des Tisches saß, sich vorgebeugt und meinen Blick gesucht, mir zugelächelt und einen angedeuteten Kuss in meine Richtung geschickt. Da wusste ich: er empfindet das wie ich.
Das Glücksgefühl in mir und die Freude auf mein neues Leben mit ihm sind bis jetzt nicht gewichen. Ich krieg das blöde Grinsen kaum aus dem Gesicht. 


Freitag, 18. Mai 2012

Langes Wochenende in Oostkapelle

Armer Norbert Röttgen - erst NRW versemmelt, und dann stellt die Chefin fest, dass er auch noch die Energiewende vergeigt hat und schmeißt ihn raus.
Da möchte ich nicht in seiner Haut stecken, sondern lieber in meiner: die eigene Haut lümmelt nämlich in Oostkapelle in der Sonne herum. Seit gestern ist das Wetter schön.
Wir waren in Vrouwenpolder auf dem Markt und haben feinen Schafskäse gekauft, 5 Paar Socken für Max für 3,- € (darf man so billigen Kinderarbeitsschrott überhaupt kaufen ? Mist, nicht nachgedacht !), 3 Birnen und Lamsoor (ein salziges Algenzeugs, das wir abends mit Zwiebel, Speck und Knoblauch gebraten haben....ich sag mal so: interessant.).
Wir haben den Markt schnell verlassen: zu voll, das war nicht so entspannend für die Hunde.
An einem Trödelstand habe ich noch Mini-Croqs für Enkelkind Trudi erstanden : ich werde sie keimfrei schrubben, und dann passen sie im kommenden Jahr auch schon.
Nach der Stippvisite in Vrouwenpolder sind wir nach Zierikzee gefahren: ein traumhaft schönes Städtchen. Weil die Geschäfte am Feiertag zu waren und somit wenige Besucher in der Stadt, konnten wir gemütlich durch den Ort spazieren und staunen.
Am Abend haben wir draußen gegrillt und gegessen, es war ungewöhnlich mild. Dazu ein, zwei Stubbis....das perfekte lange Wochenende.
Und auf dem letzten Abendspaziergang mit den Hunden (die Runde fiel kürzer als geplant aus, weil Oma Hazel nicht mehr laufen wollte) rannte uns Peppi für ein paar Minuten davon. Sie stob durch ein Feld, man sah nur das Wogen in den Halmen, ab und zu hüpfte sie hoch, dann kam kurz das Köpfchen mit schlackernden Ohren zum Vorschein. Sie scheuchte einige Fasane hoch, was wohl der Plan war. Irgendwann wollte sie zurück zu uns, es wogte im Feld auf uns zu, und dann hörte man ein lautes PLATSCH. Sie landete ungebremst in einem  Wassergraben. Wasser ist für Peppi  die Pest. Wir waren sehr schadenfroh. Und weil sie nun nicht mehr kuschitauglich war, kam sie zum Schlafen in die Box.
Es war ein herrlicher Tag. Ich bin so glücklich hier.
Gerade bewölkt es sich und Wind frischt auf. Eine gute Gelegenheit, um im Ort etwas einzukaufen.
Ich benötige Bitterkoekjes und Appelflappen sowie Spareribs.
Bis später oder viel später....ich hab echt keine Zeit.

Montag, 14. Mai 2012

Unmaßgeblicher Kommentar zur Landtagswahl in NRW

Norbert
Röttgen
Weint.
So kann es gehen. Ich war ehrlich erstaunt im Wahlkampf, wie behämmert ungeschickt sich der Bundesminister angestellt hat. Ich hätte vermutet, der wäre ein total routinierter Stratege, aber er wirkte immer so völlig überfordert und daneben.
Ich mag das CDU-Debakel, es hat mich ehrlich erleichtert.
Aber was hat der Lindner denn da gemacht ?
Noch vor einigen Wochen lachten wir uns halbtot über die FDP, ich war mir sicher: Das Schlimmste haben wir hinter uns.
Und dann Lindner ! Auch Kubicki in Schleswig-Holstein war ja Lindner, und dann jetzt he himself in NRW: hört das denn nie auf ? Furchtbar auch, dass ich gestern gleich wieder das blöd-bräsige Siegergebrabbel von FDP-Dödel Brüderle wegstecken musste. Ach, ein Jammer.
Die Mehrheitsregierung von Rot-Grün hab ich genau so gewählt. Von daher hab ich gewonnen.
Eigentlich würde ich gern weiter links als SPD wählen, das kann ich aber nicht, weil es über meinen Verstand geht, die NRW-Linke zu wählen.
Ein schlimmer Haufen, schlimmes Personal.
Wenn man so ist, fliegt man aus Landtagen.
Zu den Piraten sag ich nichts, schließlich sagen die mir auch oft zu etwas nichts.

Ich hoffe ein wenig, dass die SPD es schafft, den Schröderismus hinter sich zu lassen und wieder eine sozialdemokratischere Partei wird.
Schröder feiert längst mit Putin offen die schamlose Abgebrühtheit, das Kapitel ist entgültig geschlossen für die Partei, will ich hoffen.
An Kraft und Löhrmann hat mir übrigens der Stil der Zusammenarbeit gefallen.
Kein "Wer hat den Längsten ?" - Gehabe, das ist sehr wohltuend.

Nachdem NRW fertig gewählt hat, bleibt der bange Blick auf den Bund und Europa. Da steht uns noch einiges bevor, von den Präsidentschaftswahlen in den USA ganz zu schweigen.

Jetzt kommt erstmal die EM. Hoffentlich.














Freitag, 11. Mai 2012

Wer liest denn das bloß ?

Gestern am Abend überflog ich die Spiegel-Bestsellerliste der Sachbücher und geriet ins Grübeln.
Auf Platz 6 steht das Buch Selfmade. Von Carsten Maschmeyer. Ja, richtig gelesen: von DEM Carsten Maschmeyer.
Wer sind die ganzen vielen Leser, denen das Buch eines Maschmeyers stolze 19,99 € wert ist ?
Und warum wollen sie das lesen ?
Sind es kritische Geister, die hoffen, im Buch Stellen zu finden, in denen Maschmeyer beschreibt, wie er seine Drückerkolonnen für sein Finanzdienstleistungsunternehmen durchs Land gejagt hat ? Oder schonungslose Offenlegungen seiner Geld- und Einflüsse in Richtung Christian Wulff & Co. ?
Das wäre ja naiv.
Oder hoffen Gossip-Interessierte auf Plaudereien aus dem Nähkästchen: wie er Veronika Ferres kennen gelernt hat und was die  zwei so miteinander anstellen und ob es DIE FERRES war, die ihm den Porno-Schnäuzer abrasiert hat ?
Das kann man doch billiger in der Gala haben.
Vielleicht sind es auch Fans, die eine klassische Selfmade-Story lesen wollen: wie alles in der Garage seiner Eltern angefangen hat und wie er nach ca. 164 Rückschlägen IMMER WIEDER AUFGESTANDEN ist und dass es jeder schaffen kann, der bereit ist, 23 am Tag hart zu arbeiten und nie den Glauben an sich verliert.
Ich weiß es nicht, es bestürzt mich aber, dass so viele Leute das interessiert.
In dieser Kategorie gibt es auf Platz 14 noch Steve Jobs von einem Walter Isaacson. Auch uninteressant für mich, aber Steve Jobs ist/war irgendwie cooler als Maschmeyer. Naja, uns Deutschen fehlen diese turbokapitalistischen Entwickler-/Erfindergenies, die die anderen haben. Dafür haben wir Maschmeyer und Herrn Grupp von Trigema. Letzterer steht noch nicht auf der Bestsellerliste, aber ich bin zuversichtlich: das kommt noch.
Aus der Sparte WIE MAN SCHICKSALE MEISTERT auf Platz 1 Zwei Leben von Samuel Koch, der bei Wetten, dass....? verunglückte und heute schwerstbehindert im Rollstuhl sitzen muss. Platz 2 Ziemlich beste Freunde, das kennt jetzt jeder.
Da versteh ich zumindest, warum Menschen das lesen möchten, auch wenn ich nicht dazu gehöre.
Ich versteh auch noch halbwegs Leser von Joachim Gaucks Freiheit auf Platz 4 und Joachim Gauck - Vom Pastor zum Präsidenten - Eine Biografie auf Platz 7. Wobei - erstaunlich, wie flott das Ding fertig war. Der ist ja noch gar nicht so lange Präsi. Oder war das fertig und es wurde nur noch der allerletzte Satz: "Und dann wurde er Präsident." zugefügt, neu aufgelegt und schwupps: ging weg wie geschnitten Brot.
Alles irgendwie nachvollziehbar, selbst Heiner Geißler auf Platz 19 mit Sapere aude ! Warum wir eine neue Aufklärung brauchen. Obwohl ich da erst mal eine Aufklärung bräuchte, was denn Sapere aude heißt, bevor ich mich entscheiden würde: Nein, ich lese es nicht. Ich lese prinzipiell nichts von Heiner Geißler. Angesichts der 3.500 Bücher, die er verfasst oder herausgegeben hat, kann man einen ungefähren Eindruck davon gewinnen, wie prinzipientreu ich bin.
Ich versteh auch noch Hans Küng mit Jesus auf Platz 11, wenngleich ich Hans Küng schon verstorben oder hundertjährig und schreibunfähig geworden wähnte. Ich erinnere mich an ihn als damals in den 70ern schon alten Mann, der für reichlich Diskussion bei uns zu Hause sorgte, als er publizistisch das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes anzweifelte.
Aber ich war 7 oder 9, und meine Eltern waren auch sehr alt. Alle, die nicht mehr in die Grundschule gingen, waren alt.
Jajaja, ich ich kann alles, alles mehr oder weniger leicht nachvollziehen, ich nehme da nicht einmal Bill Mockridge (Gründer der SPRINGMAUS und Ehemann von Mutter Beimer in der Lindenstraße) aus, der mit Je oller, je doller Platz 10 inne hat. Je oller, desto doller hätte ich richtiger gefunden, aber es ist sicher ein lustiges Schmunzelbuch, da lasse ich mal Gnade vor Recht ergehen: ich bin ja auch mal gern für einen kleinen Spaß zu haben und geh zum Lachen durchaus nicht immer in den Keller.
Thea Dorn, Jürgen Domian, Joe Bausch (16, 9 und 8) : meinethalben.
Schlechte Medizin - ein Wutbuch ;  1812 - Napoleons Feldzug in Russland oder auch 110-Ein Bulle hört zu- Aus der Notrufzentrale der Polizei auf den Plätzen 15, 20 und 17 : warum nicht ?
Aber Maschmeyer.
Auf 6.
Das krieg ich nicht geschluckt.
Kann mir das irgendwer erklären ?

Montag, 30. April 2012

Vom Glück schönen Wetters

Das Wetter sei eine Zumutung, simste mir mein Erstgeborener. Er befand sich mit Frau und Baby im Wohnwagen in Oostkapelle. Wir waren auf dem Weg dorthin, wollten rechtzeitig zum Fußball da sein.
Es stimmte. Im strömenden Regen fuhren die Drei nach Hause, der weltbeste Ehemann und ich richteten uns gemütlich in der Muckelecke des Wohnwagens ein. Der Beagle rollte sich zusammen, bei dem Wetter jagt man kaum etwas Lebendiges vor die Tür.
Am Abend ließ Gott seine Windhunde los. Von Osten her kam die Meute und hielt direkt auf unser Vorzelt zu. Das Rudel zerrte an den Schnüren und schmiss sich frontal gegen die Zeltwand. Die Planen klatschten gegen das Gestänge, die Stangen drückten stoßweise auf den Wohnwagen, es rumpelte stetig. Die Windhunde schienen nicht wütend, nicht einmal beängstigend. Aber sie waren respektlos und benahmen sich schlecht. Gott leerte sein Wasserrückhaltebecken über uns aus, es strömte und prasselte auf unser Kunststoffdach, doch den Windhunden machte das nichts aus.
Als wir am kommenden Morgen erwachten, hatte sich das Wasserbecken über uns vollständig entleert, die Hunde waren fort.
Gott hatte in der Nacht überlegt, welche Farbe er dem Morgen geben wolle, und er entschied sich für wilhelminisches Grau.
Na super, dachte ich.Und las die Vermessung der Welt zu Ende und fing mit Tschick an.
Und dachte: Was für ein scheißlangweiliger Griesgramgott - kein Wunder, dass ich ungläubig war.
Das wollte Gott sich nicht zweimal denken lassen. Er klickte das Grau weg und wählte Himmelblau. Fast schon übertrieben.
Der Ehemann, der Beagle und ich machten einen beglückenden Spaziergang. Warm war es plötzlich. Wir zogen die Jacken aus, der Beagle fing an zu hecheln.
Nach der Runde dachten wir: Schnell Stühle und Tisch raus, so lange das Himmelblau anhält.
Und es hielt. Bis zum Tatort verweilten wir im T-Shirt auf der Gänseblümchenwiese und lasen und tranken Bier und schälten Spargel für das Abendessen. Und ich fragte immer wieder: Ist das nicht wunderschön ? Und der Mann antwortete immer wieder: Ja, Schatzi.
Die Nacht war ruhig und warm genug. Und als hätte sich Gotts Netbook aufgehängt,  ist es heute wieder himmelblau.
Wir sitzen auch wieder auf der Gänseblümchenwiese, trinken Kaffee und O-Saft (es ist noch zu früh für Bier), ich habe Tschick zu Ende gelesen und frage den Mann wie in einer Schön-Wetter-Demenz immer wieder das Gleiche: Ist das nicht wunderschön ?
Und er antwortet: Ja, Schatzi.
Wenn der Mann aus dem Duschbereich zurück ist, machen wir uns auf den Weg zum Strand.
Ich bin so glücklich, dass ich traurig bin, morgen schon wieder nach Hause zu müssen. So könnte es noch 3 Wochen weitergehen.
Ich sollte netter zu Gott sein. So viel Atheismus hat er ja doch nicht verdient.

Mittwoch, 25. April 2012

Gerechtigkeit oder Rechtssprechung ?

Niemand hat ein Herz für Straftäter, die Frauen vergewaltigen oder Kinder mißbrauchen oder Menschen wie auch immer Gewalt antun. Auch ich nicht.
Voller Abscheu sehen wir in diesen Tagen auf die -zunächst vier- Männer, die einem Urteil aus Karlsruhe folgend nun für die unrechtmäßige Sicherheitsverwahrung finanziell entschädigt werden. Wahrscheinlich sind diese Männer immer noch gefährlich, darum wurden sie ja auch über die Haftzeit hinaus hinter Schloss und Riegel im Knast festgehalten. So etwas beruhigt uns natürlich - niemand möchte, dass Gewaltverbrecher weiter schreckliche Straftaten begehen.
Aber nun ist es so, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nachträgliche Sicherheitsverwahrung im Gefängnis als Verstoß gegen die Menschenrechte gebrandmarkt hat. Zukünftig muss es andere Verfahren geben, um hochgefährliche Menschen dauerhaft einzusperren.
So, wie wir es gemacht haben und wie es sicher auch "geltendem Recht" entsprach, war es aber ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Und unser Land anerkennt die Menschenrechte zweifelsfrei - und glücklicherweise !
Menschenrechte für Sexualstraftäter ?
Ja.
Es stört unser Gerechtigkeitsempfinden auf besondere Weise, aber es ist richtig so, wie entschieden wurde.
Denn was gerecht ist, das wird subjektiv von jedem Menschen anders beurteilt, da gibt es keine Konstante und kaum Konsens. Für den einen muss die Todesstrafe her, der nächste hofft vielleicht  auf das göttliche Gericht, der Dritte hält sich gar selber für den Gerechten.
Wie gut zu wissen, dass wir den Rechtsstaat haben, dass wir uns zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet haben.  Die Freiheit ist wie das Leben ein hohes Gut.
Nicht nur das Leben und die Freiheit der guten Menschen - nein, auch die bösen Menschen, die Andersdenkenden, die Unerträglichen, die Irren, die Verbrecher leben im gleichen Rechtsstaat wie wir, gleiches Recht für alle.
Wenn unser Rechtsstaat mit der unrechtmäßigen Weiterinhaftierung dieser Männer gegen europäisches Recht verstoßen hat, dann muss er dafür gerade stehen. Und er kann es auch, ohne Schaden zu nehmen.
Für jeden Monat unrechtmäßigen Freiheitsentzuges 500 €. Das ist nicht viel. Andere, die zu Unrecht in Haft waren, bekommen 25,- € am Tag. Auch das ist nicht viel, aber schon mehr als die genannten Sicherheitsverwahrten. Kostet Freiheit unterschiedlich viel ?
Die 500 € sind keine Belohnung für die begangenen Straftaten, auch wenn wenn wir so empfinden mögen. Hier wurde Recht gesprochen. Nicht Gerechtigkeit.
Gerecht wäre es, wenn es keine Straftaten gäbe. Gerecht wäre es, wenn Gott für Gerechtigkeit sorgte. Solange der sich da raushält, sollten wir froh und erleichtert sein, dass der Rechtsstaat existiert und Irrtümer korrigiert.

Sonntag, 8. April 2012

Ruhige Tage in Oostkapelle

Wir sitzen hier in Holland auf dem Campingplatz und kriegen nichts mit von der Welt: die Erde ist eine Scheibe, und hinter Middelburg fällt man vermutlich runter.
Freundin Elly, der beste Ehemann von allen und ich haben andere Sorgen als die Politik. Fortlaufend wechseln wir volle gegen leere Gasflaschen (Wohnwagen und Vorzelt haben stets eine Durchschnittstemperatur von 28 Grad Celsius - wir vermuckeln hier schon mal mein Weihnachtsgeld.)
Gespült haben wir länger schon nicht mehr, jetzt werden die Kaffeetassen knapp.
Es ist 9:30 Uhr, wir sitzen am Ostersonntag im Vorzelt: der Mann spielt Spider am Laptop, Elly liest im Kindle und ich tippe den Blog. Vor zehn Jahren hätten wir analog zusammen gesessen, bunte Eier und einen Osterzopf gefrühstückt und die Auferstehung gefeiert. In der digitalen Welt ist kein Platz für Besinnlichkeit. Immerhin habe ich eine SMS von meiner Nichte mit lieben Ostergrüßen bekommen.
Unsere Sorgen betreffen derzeit nicht das iranische Atomprogramm oder die Finanzkrise (nicht mal die eigene Finanzkrise auf Grund des Gaspreises). Wir sorgen uns so: Wie ist das Wetter, wo ist die Sonne ? Ist das Klo geleert ? Haben wir noch Chips ? Riecht die Muckelecke noch vertretbar ? Warum hat Gladbach so kacke gespielt ?
Meine Sorgen möcht ich haben.
Irgendwo im Weltall ganz weit draußen sitzt meine höchstschwangere Schwiegertochter und wartet auf die Geburt ihres Kindes. Wir schauen alle 20 Sekunden aufs Handy, ob eine Nachricht eingegangen ist. ICH schaue alle 20 Sekunden nach, schließlich bin ich hier der einzige leibliche werdende Großelternteil.
So dümpeln wir hier herum : die Tage sind unglaublich lang, die Zeit scheint still zu stehen.Wir haben gerade überlegt: man könnte einen Osterspaziergang machen, es ist mild und windstill. Aber keiner regt sich. Der Mann spielt Spider, Freundin Elly liest im Kindle und ich tippe. Der Erlöser muss ohne uns auferstehen. Und wenn er doch gerade schon steht: kann ER nicht mal spülen gehen ?

Mittwoch, 4. April 2012

Man sollte nie sagen: "Was gesagt werden muss" , Herr Grass !

Nach wochenlanger Blog-Abstinenz (krankheitsbedingt) melde ich mich früh am Morgen, quasi mit allererster Tinte zurück und schreibe über DAS GEDICHT von Grass.
Gestern hatte ich Besuch von Sohn und Schwiegertochter, man sprach über DAS GEDICHT. Ich hatte noch nichts davon mitbekommen, weil ich schon seit einiger Zeit wieder eine Weltabkehr betrieben habe.
Flugs ließ ich mir das Gedicht zeigen und gebe nun hier meine Meinung bekannt - noch habe ich nichtskommanichts an Kommentaren dazu gelesen, wenngleich ich vermute, dass die üblichen Verdächtigen sich alle schon zu Wort gemeldet haben.
Vorweg:
ich teile die Kritik an Netanjahu, somit die Kritik am Staate Israel. Ich lehne die kriegstreibende Politik Netanjahus ab und deutsche Waffenlieferungen.
Aber darum geht es wohl kaum bei der vermuteten Aufregung um DAS GEDICHT.
(Wo ist das kleine Aufsätzchen überhaupt ein Gedicht ? Nicht alles, was ein Dichter publiziert, ist gleich ein Gedicht, auch wenn es ein wenig daher kommen möchte wie Brechts "An die Nachgeborenen", ein Gestus, den ich hier vermessen finde. Aber sei´s drum.)
Mich stört an dem Gedicht einiges.
Der Titel. WAS GESAGT WERDEN MUSS.
Lieber Herr Grass,
das wurde auch schon gesagt, häufig. Weil man es so sagen kann und darf. Aber mit so einem Titel bringt man sich in die Nähe all dieser Sarrazins, weil man so tut, als sei seine Meinung oder Haltung eine, die man aus Angst vor Repression eigentlich nicht kundtun kann. Und wenn man es tut, dann kommt das Widerstand gleich. Das ist ein wenig finessenreicher Schlenker, der trotz seiner Uneleganz Menschen von einiger Bildung dazu bringt, dies dann gleich WAHRHEIT oder MUTIG zu nennen.
Das ist dumm.
Herr Grass, üben Sie weiter Kritik an Israels Politik. Wir leben in einem freien Land, wir dürfen das ohne Angst jederzeit tun.
Niemand unterdrückt uns persönlich: nicht unsere Regierung, nicht die Waffenlobby, nicht Netanjahu, nicht einmal Henryk M. Broder.
Aber Ihr Pathos , dieses mit "allerletzter Tinte" geschwurbelte Pamphlet....möge es wirklich die allerletzte Tinte gewesen sein.
Brauchten Sie auf Ihre alten Tage diese Selbstinszenierung als Widerstandskämpfer und zuletzt furchtloser Mahner ? Schade.
Mir in meiner entschiedenen Haltung gegen einen Krieg , gegen Netanjahus Iran-Politik, haben Sie gar nicht geholfen.
Weil es das nicht gibt, dieses "Man darf es ja nicht sagen".
Damit erst wird alles sehr kompliziert. Weil es impliziert, dass es da eine Meinungsdiktatur gäbe. Aber von wem ????
Und jetzt sind wir beim Antisemitismus.
Sie sind kein Antisemit, da bin ich sicher.
Aber wenn Sie so mit dem stilistischen Hämmerchen auf die Reflexzone pochen, dann wundert es mich nicht, wenn zuverlässig reflexhaft "Antisemitismus" gerufen werden wird. Ob das dann nun wieder klug ist, sei mal dahin gestellt. Aber so geschieht es immer und immer wieder, und Ihnen werfe ich vor, dass Sie nicht klüger geschrieben haben, um genau das zu vermeiden.
Viel mehr habe ich den Eindruck (weil ich Ihnen Klugheit unterstelle), dass Sie genau das provoziert haben.
Wem hilft das (außer Ihrem Ego) ?
Und nun, Herr Grass, werde ich mich daran machen, mal alle Kommentare zu lesen. Ich bin gespannt.