Freitag, 11. Mai 2012

Wer liest denn das bloß ?

Gestern am Abend überflog ich die Spiegel-Bestsellerliste der Sachbücher und geriet ins Grübeln.
Auf Platz 6 steht das Buch Selfmade. Von Carsten Maschmeyer. Ja, richtig gelesen: von DEM Carsten Maschmeyer.
Wer sind die ganzen vielen Leser, denen das Buch eines Maschmeyers stolze 19,99 € wert ist ?
Und warum wollen sie das lesen ?
Sind es kritische Geister, die hoffen, im Buch Stellen zu finden, in denen Maschmeyer beschreibt, wie er seine Drückerkolonnen für sein Finanzdienstleistungsunternehmen durchs Land gejagt hat ? Oder schonungslose Offenlegungen seiner Geld- und Einflüsse in Richtung Christian Wulff & Co. ?
Das wäre ja naiv.
Oder hoffen Gossip-Interessierte auf Plaudereien aus dem Nähkästchen: wie er Veronika Ferres kennen gelernt hat und was die  zwei so miteinander anstellen und ob es DIE FERRES war, die ihm den Porno-Schnäuzer abrasiert hat ?
Das kann man doch billiger in der Gala haben.
Vielleicht sind es auch Fans, die eine klassische Selfmade-Story lesen wollen: wie alles in der Garage seiner Eltern angefangen hat und wie er nach ca. 164 Rückschlägen IMMER WIEDER AUFGESTANDEN ist und dass es jeder schaffen kann, der bereit ist, 23 am Tag hart zu arbeiten und nie den Glauben an sich verliert.
Ich weiß es nicht, es bestürzt mich aber, dass so viele Leute das interessiert.
In dieser Kategorie gibt es auf Platz 14 noch Steve Jobs von einem Walter Isaacson. Auch uninteressant für mich, aber Steve Jobs ist/war irgendwie cooler als Maschmeyer. Naja, uns Deutschen fehlen diese turbokapitalistischen Entwickler-/Erfindergenies, die die anderen haben. Dafür haben wir Maschmeyer und Herrn Grupp von Trigema. Letzterer steht noch nicht auf der Bestsellerliste, aber ich bin zuversichtlich: das kommt noch.
Aus der Sparte WIE MAN SCHICKSALE MEISTERT auf Platz 1 Zwei Leben von Samuel Koch, der bei Wetten, dass....? verunglückte und heute schwerstbehindert im Rollstuhl sitzen muss. Platz 2 Ziemlich beste Freunde, das kennt jetzt jeder.
Da versteh ich zumindest, warum Menschen das lesen möchten, auch wenn ich nicht dazu gehöre.
Ich versteh auch noch halbwegs Leser von Joachim Gaucks Freiheit auf Platz 4 und Joachim Gauck - Vom Pastor zum Präsidenten - Eine Biografie auf Platz 7. Wobei - erstaunlich, wie flott das Ding fertig war. Der ist ja noch gar nicht so lange Präsi. Oder war das fertig und es wurde nur noch der allerletzte Satz: "Und dann wurde er Präsident." zugefügt, neu aufgelegt und schwupps: ging weg wie geschnitten Brot.
Alles irgendwie nachvollziehbar, selbst Heiner Geißler auf Platz 19 mit Sapere aude ! Warum wir eine neue Aufklärung brauchen. Obwohl ich da erst mal eine Aufklärung bräuchte, was denn Sapere aude heißt, bevor ich mich entscheiden würde: Nein, ich lese es nicht. Ich lese prinzipiell nichts von Heiner Geißler. Angesichts der 3.500 Bücher, die er verfasst oder herausgegeben hat, kann man einen ungefähren Eindruck davon gewinnen, wie prinzipientreu ich bin.
Ich versteh auch noch Hans Küng mit Jesus auf Platz 11, wenngleich ich Hans Küng schon verstorben oder hundertjährig und schreibunfähig geworden wähnte. Ich erinnere mich an ihn als damals in den 70ern schon alten Mann, der für reichlich Diskussion bei uns zu Hause sorgte, als er publizistisch das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes anzweifelte.
Aber ich war 7 oder 9, und meine Eltern waren auch sehr alt. Alle, die nicht mehr in die Grundschule gingen, waren alt.
Jajaja, ich ich kann alles, alles mehr oder weniger leicht nachvollziehen, ich nehme da nicht einmal Bill Mockridge (Gründer der SPRINGMAUS und Ehemann von Mutter Beimer in der Lindenstraße) aus, der mit Je oller, je doller Platz 10 inne hat. Je oller, desto doller hätte ich richtiger gefunden, aber es ist sicher ein lustiges Schmunzelbuch, da lasse ich mal Gnade vor Recht ergehen: ich bin ja auch mal gern für einen kleinen Spaß zu haben und geh zum Lachen durchaus nicht immer in den Keller.
Thea Dorn, Jürgen Domian, Joe Bausch (16, 9 und 8) : meinethalben.
Schlechte Medizin - ein Wutbuch ;  1812 - Napoleons Feldzug in Russland oder auch 110-Ein Bulle hört zu- Aus der Notrufzentrale der Polizei auf den Plätzen 15, 20 und 17 : warum nicht ?
Aber Maschmeyer.
Auf 6.
Das krieg ich nicht geschluckt.
Kann mir das irgendwer erklären ?

1 Kommentar:

  1. Ich nenne das den "Dieter-Bohlen-Effekt". Die Soziologen sprechen da von "Aufwärtssolidarität". Arschlöcher, die es zu etwas gebracht haben, sind offenbar beliebte Rollenmodelle, denen man gerne nacheifern würde. So erkläre ich mir auch, dass die aosziale FDP eben nicht nur von Anwälten, Architekten und Apothekern gewählt wird und morgen wieder mehr als fünf Prozent bekommen wird. Früher, in unsererer Revoluzzerjugend, hätte man das mit dem stimmigen, aber nutzlosen Satz quittiert: "Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber." Da Dummheit und Arschlöcher nun mal nicht aussterben, wird auch ein Maschmeyer gelesen und ein Lindner gewählt. Das müssen wir wohl in einer Demokratie ertragen (auch wenn es schwer fällt), aber eben nicht mitmachen.

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