Dienstag, 28. August 2012

Mitteilungen aus dem Kindersitz

Früher gab es in den Omma-Zeitschriften eine Rubrik: Fröhlicher Kindermund. Da schickte man eine drollige Kinderaussage ein und bekam 5,- Mark, wenn sie abgedruckt wurde. Wenn es sowas noch gäbe, dann bräuchten sich Maries Eltern finanziell keine Sorgen mehr machen. Marie (3) ist permanent drollig und sie hat viel Freude daran, sich ununterbrochen zu Wort zu melden. Wenn sie lustig ist, ist das sehr lustig. Wenn sie sauer ist : auch.
Meine Schwester ist eine humorvolle Oma. Ich war mit ihr und Marie ein paar Tage im Urlaub, es war sehr unterhaltsam.
Die Hinfahrt dauerte 2 Stunden, zu lang für Marie. "Mir geht es niss gut !", vermeldete Marie alle paar Minuten aus ihrem Kindersitz auf der Rückbank. Wenn man Tuc-Kekse nach hinten reichte, Maoam oder Getränkeflaschen, dann ging es wieder für ein paar Minuten.

 "Dir geht es auch niss gut, Tine !", bestimmte Marie. "Du musst zu Dr. Marging ." Ich verstand: Marie war Dr. Marging, der aus dem kleinen Kindersitz hinter mir praktizierte. Die Behandlung ging sofort los:
"Guten Tag. Iss bin Dr. Marging. Was haben Sie denn ?"
"Ich habe Bauchweh."
"Ach so. Und was haben Sie jetzt ?"
"Immer noch Bauchweh."
"Gar niss wahr."
"Aber wohl...!"
Dr. Marging wurde sehr ungehalten: "JETZT ISS KOPFWEH !"
 "Also bitte....ich weiß doch selber, was mir weh tut, das wissen Sie doch nicht ! Sie müssen mich behandeln!"
"Das iss gar niss wahr. Du bist gar niss risstiss krank, Du sitzt da vorne im Auto."
"Jaaa, und Du bist gar nicht richtig  Dr. Marging, weil Du sitzt da hinter mir im Kindersitz."
"Du biss niss mehr mein Freund. Ne, Omma ? Die Tine iss niss mein Freund, nur Du biss mein Freund."
Marie sortiert ihre Freundschaften alle paar Minuten neu.

Sie spielt auch sehr gern Verkäuferin. Das Spiel kündigt sich immer mit einer Melodie wie von einem Spielautomat an:
Düdüdüdü
Düdüdüdü...
Oma: "Oh nein, nicht schon wieder....."
Marie: "Doch, Omma:
Düdüdüdü
Düdüdüdü
Guten Tag ! Was hätten Sie gern ?"
Oma: "Ich hätte gern Nudeln."
Marie: "Nudeln hab iss niss."
Oma: "Dann bitte eine Brot."
Marie: "Brot hab iss auch niss."
Tine: "Marie, die DDR gibts nicht mehr."
Marie: "Gar niss wahr."
Oma: "Dann hätte ich gern Eier."
Marie: "Eier hab iss auch niss."
Oma: "Was haben sie denn ?"
Marie: "Iss hab nur Geld und eine Hupe."

An einem Abend hab ich Marie das Märchen vom Rotkäppchen erzählt, so frei aus dem Kopf. Ich machte mir etwas Sorgen, ob Marie vielleicht Angst vor dem bösen Wolf bekommen könnte, denn Oma und Opa waren gerade bei den Nachbarn und es gewitterte heftig: alles zusammen viel für eine kleine Kinderseele.
Aber Marie kam gar nicht zum Angst entwickeln, sie hatte viele Detailfragen.
Wir waren schon mit Kuchen und Wein unterwegs zur Großmutter, da kommt Marie ein Gedanke:
"Wie heisst denn das Rotkäppsen risstiss ?"
"Na, Rotkäppchen halt."
"Nein, wie das vorher hieß...der Name von das Rotkäppsen."
"Wie : vorher ?"
"Tine, fang nochma an ssu erssählen...."
An der Stelle: ....und von da an nannte es jedermann nur Rotkäppchen.... : "Da ! Und wie iss der risstisse Name ?"
Ich musste passen, das war sehr unbefriedigend für Marie.
Später, als der Wolf sich Nachthemd und Häubchen von der Großmutter angezogen hatte, gefiel das Marie auch nicht.
"Nein, was hat der wirkliss an ?"
"Die Sachen von der Großmutter."
"Gar niss wahr. Der hat ein blaues T-Shirt an."
Irgendwie funktionierte der Plot mit dem blauen T-Shirt dann nicht  so gut, zumal der Wolf nicht mit T-Shirt an in den Brunnen geworfen werden durfte, das musste der Jäger ihm vorher noch ausziehen, weil das doch nass wird ("Das darf man niss, Tine !"). Der Thrill der Geschichte blieb etwas auf der Strecke, was aber der guten Stimmung nicht schadete, denn wir sangen aus Freude über die Rettung einmal langsam "Jingle Bells" und zweimal schnell und noch einmal ganz schnell "Der Kuckuck und der Esel".

Auf der Rückfahrt hatten die Oma und Marie einen kleinen Streit.
"Du biss doof!" sagte Marie.
"Du bist auch doof!" sagte die Oma.
"Du biss niss mein Freund, Oma. Nur du biss mein Freund, Tine, das stimmt doch, oder ?"
5 Minuten später möchte Marie an einem Parkplatz mit aussteigen.
Die Oma fragt: "Kannst Du denn wieder freundlich sein ?"
Marie: "Ja....aber niss ssu Dir."

Montag, 20. August 2012

Alles unter einem Dach

Als ich damals ein Grundschulkind war, hatten wir auch schon einen Fernseher. Ich liebte den Grundig-Kasten und vermisste auch die Fernbedienung nicht, denn die hatte noch niemand. Ganz besonders toll fand ich die Reklame (wir sagten nicht Werbung). Ich wartete immer voller Sehnsucht auf den Teddy der Bärenmarke-Kondensmilch. Wie niedlich der da so auf der Wiese zwei, drei Schritte machte neben der Milchkanne ! Und dann wars auch wieder vorbei, ach, ich hätte stundenlang zugucken mögen.
Meine Schwester und ich sprachen die Reklamen mit: Wenn einem soviel Gutes wird beschert, dann ist das einen As bach-Uralt wert.
Oder: ....Sie baden grade Ihre Hände drin.
Oder: ...ich gehe meilenweit für Camel Filter.
Ich mochte den Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer, die Frau Sommer mit dem Kaffee, die Klementine, das Gewissen (Warum trinkt er seinen Kaffee nicht ?) und sogar das HB-Männchen, ja, das war sogar richtig zum Ausschütten vor Lachen.
Aber besonders super war die Kaufhof-Reklame, denn soeben hatte in Neuss der Kaufhof eröffnet. Frauenstimmen sangen: Der Kaufhof bietet tausendfach, alles unter einem Dach.
Das war eine irrwitzig glitzernde Konsumwelt, ich freute mich sehr aufs Gymnasium, denn der Schulweg ging geradewegs DURCH den Kaufhof !!! Davon träume ich tatsächlich heute noch. Nach der Schule erstmal durch die Spielzeugabteilung, das hatte was.
Sylvia Blaszynski und ich hielten uns in der großen Pause immer abseits von den anderen (oder die von uns), und wir spielten die Reklamen nach. "Ich mach Kaufhof !" war die heißeste Währung: wer das gerufen hatte, durfte minutenlang singend darstellen, was der Kaufhof tausendfach unter einem Dach bietet.
Meine Mutter berichtete, dass in Amerika sogar Filme unterbrochen würden für Reklame. WIE BITTE ???Mein Vater sagte: Amerikanischer Scheiß ! Ich dachte: Ich möchte nach Amerika.
Heute möchte ich immer noch immerzu nach Amerika, aber ich verstehe, was mein Vater meinte. Wenn meine Liebe zur Reklame geblieben wäre, dann wäre mein Leben heute viel schöner. Aber wir haben uns auseinander gelebt und nichts mehr zu sagen, die Reklame und ich. Sie heißt ja jetzt Werbung oder Commercial. Ach , Schulkameraden heißen heute ja auch nicht mehr Jürgen oder Walburga. Und der Kaufhof ? Galeria.
Frau Sommer sitzt dementiell verändert im Seniorenstift, sie heißt in der Werbung fortan George Clooney und sieht auch so aus.
Trinkt noch jemand Asbach Uralt ?
Hat überhaupt noch irgendeine Latte-Macchiato-Ehefrau ein Gewissen, wenn dem Alten die Plörre nicht schmeckt ?
Viele Jahre später, als ich selber schon Kinder hatte, guckten mein Erstgeborener und ich wieder .... naja, Werbung. Aber es war nicht mehr das Gleiche, es hatte schon diese ironische Brechung, die leicht, allzu leicht ins Zynische abgleitet. Wir sangen immer laut mit bei Zott Sahnejoghurt:

VOLL GEPACKT MIT TOLLEN SACHEN
DIE DAS LEBEN SCHÖNER MACHEN
HINEIN INS WEEKENDFEELING
MIT ZOTT SAHNEJOGHURT
SAHNIG FRUCHTIG FRISCH UND LEICHT
HINEIN INS WEEKENDFEELING
HMMMMM
LASS DICH MAL GEHN
SCHALT EINFACH AB
GENIESS DEN SAHNIGEN GESCHMACK
MIT ZOTT INS WEEKENDFEELING.

Wir machten uns lustig. Das hätte ich beim Bärenmarketeddy nie getan. Den konnte ich lieben.