Montag, 30. April 2012

Vom Glück schönen Wetters

Das Wetter sei eine Zumutung, simste mir mein Erstgeborener. Er befand sich mit Frau und Baby im Wohnwagen in Oostkapelle. Wir waren auf dem Weg dorthin, wollten rechtzeitig zum Fußball da sein.
Es stimmte. Im strömenden Regen fuhren die Drei nach Hause, der weltbeste Ehemann und ich richteten uns gemütlich in der Muckelecke des Wohnwagens ein. Der Beagle rollte sich zusammen, bei dem Wetter jagt man kaum etwas Lebendiges vor die Tür.
Am Abend ließ Gott seine Windhunde los. Von Osten her kam die Meute und hielt direkt auf unser Vorzelt zu. Das Rudel zerrte an den Schnüren und schmiss sich frontal gegen die Zeltwand. Die Planen klatschten gegen das Gestänge, die Stangen drückten stoßweise auf den Wohnwagen, es rumpelte stetig. Die Windhunde schienen nicht wütend, nicht einmal beängstigend. Aber sie waren respektlos und benahmen sich schlecht. Gott leerte sein Wasserrückhaltebecken über uns aus, es strömte und prasselte auf unser Kunststoffdach, doch den Windhunden machte das nichts aus.
Als wir am kommenden Morgen erwachten, hatte sich das Wasserbecken über uns vollständig entleert, die Hunde waren fort.
Gott hatte in der Nacht überlegt, welche Farbe er dem Morgen geben wolle, und er entschied sich für wilhelminisches Grau.
Na super, dachte ich.Und las die Vermessung der Welt zu Ende und fing mit Tschick an.
Und dachte: Was für ein scheißlangweiliger Griesgramgott - kein Wunder, dass ich ungläubig war.
Das wollte Gott sich nicht zweimal denken lassen. Er klickte das Grau weg und wählte Himmelblau. Fast schon übertrieben.
Der Ehemann, der Beagle und ich machten einen beglückenden Spaziergang. Warm war es plötzlich. Wir zogen die Jacken aus, der Beagle fing an zu hecheln.
Nach der Runde dachten wir: Schnell Stühle und Tisch raus, so lange das Himmelblau anhält.
Und es hielt. Bis zum Tatort verweilten wir im T-Shirt auf der Gänseblümchenwiese und lasen und tranken Bier und schälten Spargel für das Abendessen. Und ich fragte immer wieder: Ist das nicht wunderschön ? Und der Mann antwortete immer wieder: Ja, Schatzi.
Die Nacht war ruhig und warm genug. Und als hätte sich Gotts Netbook aufgehängt,  ist es heute wieder himmelblau.
Wir sitzen auch wieder auf der Gänseblümchenwiese, trinken Kaffee und O-Saft (es ist noch zu früh für Bier), ich habe Tschick zu Ende gelesen und frage den Mann wie in einer Schön-Wetter-Demenz immer wieder das Gleiche: Ist das nicht wunderschön ?
Und er antwortet: Ja, Schatzi.
Wenn der Mann aus dem Duschbereich zurück ist, machen wir uns auf den Weg zum Strand.
Ich bin so glücklich, dass ich traurig bin, morgen schon wieder nach Hause zu müssen. So könnte es noch 3 Wochen weitergehen.
Ich sollte netter zu Gott sein. So viel Atheismus hat er ja doch nicht verdient.

Mittwoch, 25. April 2012

Gerechtigkeit oder Rechtssprechung ?

Niemand hat ein Herz für Straftäter, die Frauen vergewaltigen oder Kinder mißbrauchen oder Menschen wie auch immer Gewalt antun. Auch ich nicht.
Voller Abscheu sehen wir in diesen Tagen auf die -zunächst vier- Männer, die einem Urteil aus Karlsruhe folgend nun für die unrechtmäßige Sicherheitsverwahrung finanziell entschädigt werden. Wahrscheinlich sind diese Männer immer noch gefährlich, darum wurden sie ja auch über die Haftzeit hinaus hinter Schloss und Riegel im Knast festgehalten. So etwas beruhigt uns natürlich - niemand möchte, dass Gewaltverbrecher weiter schreckliche Straftaten begehen.
Aber nun ist es so, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nachträgliche Sicherheitsverwahrung im Gefängnis als Verstoß gegen die Menschenrechte gebrandmarkt hat. Zukünftig muss es andere Verfahren geben, um hochgefährliche Menschen dauerhaft einzusperren.
So, wie wir es gemacht haben und wie es sicher auch "geltendem Recht" entsprach, war es aber ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Und unser Land anerkennt die Menschenrechte zweifelsfrei - und glücklicherweise !
Menschenrechte für Sexualstraftäter ?
Ja.
Es stört unser Gerechtigkeitsempfinden auf besondere Weise, aber es ist richtig so, wie entschieden wurde.
Denn was gerecht ist, das wird subjektiv von jedem Menschen anders beurteilt, da gibt es keine Konstante und kaum Konsens. Für den einen muss die Todesstrafe her, der nächste hofft vielleicht  auf das göttliche Gericht, der Dritte hält sich gar selber für den Gerechten.
Wie gut zu wissen, dass wir den Rechtsstaat haben, dass wir uns zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet haben.  Die Freiheit ist wie das Leben ein hohes Gut.
Nicht nur das Leben und die Freiheit der guten Menschen - nein, auch die bösen Menschen, die Andersdenkenden, die Unerträglichen, die Irren, die Verbrecher leben im gleichen Rechtsstaat wie wir, gleiches Recht für alle.
Wenn unser Rechtsstaat mit der unrechtmäßigen Weiterinhaftierung dieser Männer gegen europäisches Recht verstoßen hat, dann muss er dafür gerade stehen. Und er kann es auch, ohne Schaden zu nehmen.
Für jeden Monat unrechtmäßigen Freiheitsentzuges 500 €. Das ist nicht viel. Andere, die zu Unrecht in Haft waren, bekommen 25,- € am Tag. Auch das ist nicht viel, aber schon mehr als die genannten Sicherheitsverwahrten. Kostet Freiheit unterschiedlich viel ?
Die 500 € sind keine Belohnung für die begangenen Straftaten, auch wenn wenn wir so empfinden mögen. Hier wurde Recht gesprochen. Nicht Gerechtigkeit.
Gerecht wäre es, wenn es keine Straftaten gäbe. Gerecht wäre es, wenn Gott für Gerechtigkeit sorgte. Solange der sich da raushält, sollten wir froh und erleichtert sein, dass der Rechtsstaat existiert und Irrtümer korrigiert.

Sonntag, 8. April 2012

Ruhige Tage in Oostkapelle

Wir sitzen hier in Holland auf dem Campingplatz und kriegen nichts mit von der Welt: die Erde ist eine Scheibe, und hinter Middelburg fällt man vermutlich runter.
Freundin Elly, der beste Ehemann von allen und ich haben andere Sorgen als die Politik. Fortlaufend wechseln wir volle gegen leere Gasflaschen (Wohnwagen und Vorzelt haben stets eine Durchschnittstemperatur von 28 Grad Celsius - wir vermuckeln hier schon mal mein Weihnachtsgeld.)
Gespült haben wir länger schon nicht mehr, jetzt werden die Kaffeetassen knapp.
Es ist 9:30 Uhr, wir sitzen am Ostersonntag im Vorzelt: der Mann spielt Spider am Laptop, Elly liest im Kindle und ich tippe den Blog. Vor zehn Jahren hätten wir analog zusammen gesessen, bunte Eier und einen Osterzopf gefrühstückt und die Auferstehung gefeiert. In der digitalen Welt ist kein Platz für Besinnlichkeit. Immerhin habe ich eine SMS von meiner Nichte mit lieben Ostergrüßen bekommen.
Unsere Sorgen betreffen derzeit nicht das iranische Atomprogramm oder die Finanzkrise (nicht mal die eigene Finanzkrise auf Grund des Gaspreises). Wir sorgen uns so: Wie ist das Wetter, wo ist die Sonne ? Ist das Klo geleert ? Haben wir noch Chips ? Riecht die Muckelecke noch vertretbar ? Warum hat Gladbach so kacke gespielt ?
Meine Sorgen möcht ich haben.
Irgendwo im Weltall ganz weit draußen sitzt meine höchstschwangere Schwiegertochter und wartet auf die Geburt ihres Kindes. Wir schauen alle 20 Sekunden aufs Handy, ob eine Nachricht eingegangen ist. ICH schaue alle 20 Sekunden nach, schließlich bin ich hier der einzige leibliche werdende Großelternteil.
So dümpeln wir hier herum : die Tage sind unglaublich lang, die Zeit scheint still zu stehen.Wir haben gerade überlegt: man könnte einen Osterspaziergang machen, es ist mild und windstill. Aber keiner regt sich. Der Mann spielt Spider, Freundin Elly liest im Kindle und ich tippe. Der Erlöser muss ohne uns auferstehen. Und wenn er doch gerade schon steht: kann ER nicht mal spülen gehen ?

Mittwoch, 4. April 2012

Man sollte nie sagen: "Was gesagt werden muss" , Herr Grass !

Nach wochenlanger Blog-Abstinenz (krankheitsbedingt) melde ich mich früh am Morgen, quasi mit allererster Tinte zurück und schreibe über DAS GEDICHT von Grass.
Gestern hatte ich Besuch von Sohn und Schwiegertochter, man sprach über DAS GEDICHT. Ich hatte noch nichts davon mitbekommen, weil ich schon seit einiger Zeit wieder eine Weltabkehr betrieben habe.
Flugs ließ ich mir das Gedicht zeigen und gebe nun hier meine Meinung bekannt - noch habe ich nichtskommanichts an Kommentaren dazu gelesen, wenngleich ich vermute, dass die üblichen Verdächtigen sich alle schon zu Wort gemeldet haben.
Vorweg:
ich teile die Kritik an Netanjahu, somit die Kritik am Staate Israel. Ich lehne die kriegstreibende Politik Netanjahus ab und deutsche Waffenlieferungen.
Aber darum geht es wohl kaum bei der vermuteten Aufregung um DAS GEDICHT.
(Wo ist das kleine Aufsätzchen überhaupt ein Gedicht ? Nicht alles, was ein Dichter publiziert, ist gleich ein Gedicht, auch wenn es ein wenig daher kommen möchte wie Brechts "An die Nachgeborenen", ein Gestus, den ich hier vermessen finde. Aber sei´s drum.)
Mich stört an dem Gedicht einiges.
Der Titel. WAS GESAGT WERDEN MUSS.
Lieber Herr Grass,
das wurde auch schon gesagt, häufig. Weil man es so sagen kann und darf. Aber mit so einem Titel bringt man sich in die Nähe all dieser Sarrazins, weil man so tut, als sei seine Meinung oder Haltung eine, die man aus Angst vor Repression eigentlich nicht kundtun kann. Und wenn man es tut, dann kommt das Widerstand gleich. Das ist ein wenig finessenreicher Schlenker, der trotz seiner Uneleganz Menschen von einiger Bildung dazu bringt, dies dann gleich WAHRHEIT oder MUTIG zu nennen.
Das ist dumm.
Herr Grass, üben Sie weiter Kritik an Israels Politik. Wir leben in einem freien Land, wir dürfen das ohne Angst jederzeit tun.
Niemand unterdrückt uns persönlich: nicht unsere Regierung, nicht die Waffenlobby, nicht Netanjahu, nicht einmal Henryk M. Broder.
Aber Ihr Pathos , dieses mit "allerletzter Tinte" geschwurbelte Pamphlet....möge es wirklich die allerletzte Tinte gewesen sein.
Brauchten Sie auf Ihre alten Tage diese Selbstinszenierung als Widerstandskämpfer und zuletzt furchtloser Mahner ? Schade.
Mir in meiner entschiedenen Haltung gegen einen Krieg , gegen Netanjahus Iran-Politik, haben Sie gar nicht geholfen.
Weil es das nicht gibt, dieses "Man darf es ja nicht sagen".
Damit erst wird alles sehr kompliziert. Weil es impliziert, dass es da eine Meinungsdiktatur gäbe. Aber von wem ????
Und jetzt sind wir beim Antisemitismus.
Sie sind kein Antisemit, da bin ich sicher.
Aber wenn Sie so mit dem stilistischen Hämmerchen auf die Reflexzone pochen, dann wundert es mich nicht, wenn zuverlässig reflexhaft "Antisemitismus" gerufen werden wird. Ob das dann nun wieder klug ist, sei mal dahin gestellt. Aber so geschieht es immer und immer wieder, und Ihnen werfe ich vor, dass Sie nicht klüger geschrieben haben, um genau das zu vermeiden.
Viel mehr habe ich den Eindruck (weil ich Ihnen Klugheit unterstelle), dass Sie genau das provoziert haben.
Wem hilft das (außer Ihrem Ego) ?
Und nun, Herr Grass, werde ich mich daran machen, mal alle Kommentare zu lesen. Ich bin gespannt.